Deutsch-chinesisches Gemeinschaftsprojekt: Nanotechnik aus der Tiefsee

Mit der feierlichen Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages wurde heute die Zusammenarbeit der Universitätsmedizin und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit der Tsinghua University und der Chinese Academy of Geological Sciences in Peking offiziell. Ziel der zunächst auf fünf Jahre angelegten Arbeit ist die Etablierung einer gemeinsamen Forschungseinheit, des sogenannten „Joint Lab: Bio-Nano-Komposite“.

Die Gründung dieses wissenschaftlichen Exzellenzzentrums soll einerseits helfen, globale Probleme im medizinischen und im Umweltbereich zu lösen. Andererseits soll auch die Patentierung und kommerzielle Verwertung der Forschungsergebnisse gefördert werden, wobei die deutschen Partner langfristig und dauerhaft Zugang zum wachsenden asiatischen Markt erhalten sollen. Die Forschungen konzentrieren sich dabei auf die Entwicklung neuartiger Materialien für den Zahn- und Knochenersatz und bauen auf Erkenntnissen auf, die man bei Untersuchungen zur Biosynthese anorganischer Verbindungen durch Tiefseeorganismen gewonnen hat.

Das verspricht unter anderem Fortschritte bei der Behandlung von Osteoporose und Knochenbrüchen. Die Zusammenführung der auf diesem Gebiet bereits vorhandenen, jedoch sehr unterschiedlichen Kompetenzen in beiden Ländern lässt auf hohe synergistische Effekte für die kommenden Jahre hoffen.

Das Gemeinschaftsprojekt ist eingebettet in die Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Konzeptions- und Vorbereitungsmaßnahmen deutscher Hochschulen zur Etablierung gemeinsamer Forschungsstrukturen mit Partnern im asiatisch-pazifischen Forschungsraum“ und steht damit unter dem Dach des „Deutsch-Chinesischen Jahres der Wissenschaft und Bildung 2009/10“ (DCJWB). Die Koordination liegt in den Händen von Prof. Dr. Werner E. G. Müller vom Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie der Universitätsmedizin Mainz. Er und sein am selben Institut tätiger Kollege Prof. Dr. Dr. Heinz C. Schröder sind weltweit führende Experten für die Identifizierung, Klonierung und gentechnologische Herstellung von Enzymen (Silicateine), die den Tiefseeschwämmen die Synthese ihres Silikatskelettes ermöglichen. Diese bereits seit dem Präkambrium vor mehr als 600 Millionen Jahren existierenden Meeresbewohner besitzen die einzigartige Fähigkeit, Silikat enzymatisch zu synthetisieren („Biosilikat“).

Die „Hybrid-Zusammensetzung“ aus anorganischen und organischen Komponenten verleiht dem Material exzellente mechanische Eigenschaften und macht es hochinteressant, auch für die Nanotechnologie. Bereits seit Jahren arbeiten Müller und Schröder dabei zusammen mit Prof. Dr. Xiaohong Wang vom National Research Center for Geoanalysis der Chinese Academy of Geological Sciences in Peking. Wang ist die führende chinesische Forscherin für Tiefseebiomineralien und Tiefseeschwämme mit dem Fokus auf Biosilikat sowie eine Expertin in der Spurenelementanalyse.

Neben diesen eukaryotischen Organismen stehen aber auch Prokaryonten im Fokus: Bakterien, die am Boden der Tiefsee in Manganknollen leben. Diese etwa faustgroßen Gebilde liegen lose in 4.000 bis 5.000 Metern Tiefe an bestimmten Stellen auf dem Meeresboden und haben sich über Jahrmillionen gebildet. Laut Müller wachsen die Knollen in einer Million Jahren nur um einen Millimeter. Sie bestehen zu circa 30 Prozent aus Mangan und zu circa 20 Prozent aus Eisen, enthalten aber noch weitere wertvolle Metalle wie etwa Kobalt und Nickel. Wang und Müller konnten nun erstmals zeigen, dass die Mineralisation in den Knollen biologisch induziert wird, von eben jenen genannten endolithischen Bakterien. Sie sind mit sogenannten S-Layer-Proteinen dekoriert, die als Kristallisationskeime für die im Meerwasser gelösten Metallionen dienen.

In beiden Fällen handelt es sich also um Biomineralisationsprozesse, aus denen komplexe Hybridmaterialien entstehen. Spezialist auf diesem Gebiet ist Prof. Dr. Wolfgang Tremel vom Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Johannes Gutenberg-Universität. Er ist ebenso an dem „Joint Lab“ beteiligt wie PD Dr. habil. Dorrit E. Jacob vom Institut für Geowissenschaften (Arbeitsgruppe Biomineralisation) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie ist Expertin auf dem Gebiet der Bildung und Analytik kalziumhaltiger Mineralien und unterhält bereits zahlreiche Kooperationen im asiatisch-pazifischen Raum.

Im Rahmen des Projekts sollen zunächst die molekularen Mechanismen untersucht werden, die der Bildung von Metalloxiden durch Tiefseeorganismen zugrunde liegen. Anschließend ist geplant, die Gene der beteiligten Enzyme zu identifizieren, zu klonieren und zu exprimieren, so wie es Müller und Schröder bereits bei den Schwämmen gemacht haben. Sobald das geschehen ist, können die rekombinant hergestellten Enzyme bzw. Proteine zur Synthese neuartiger Komposit-Materialien verwendet werden, die dann bei Knochenbrüchen und -erkrankungen eingesetzt werden sowie als Zahnersatz dienen können. Nach erfolgreicher Durchführung entsprechender klinischer Studien hoffen die Forscher schließlich, dass sie aus ihren Ergebnissen einen neuartigen Therapieansatz für Osteoporose-Patienten entwickeln können.

Die zunehmende Bedeutung der Nanotechnologie und der wachsende Einfluss des asiatisch-pazifischen Raums (Asian Pacific Research Area, APRA) auf die Entwicklung dieser Technologie wurden von der Bundesregierung und der Europäischen Union erkannt, sodass auf diesem Gebiet vielfältige Förderprogramme initiiert wurden. Auch das Joint Lab wird vom BMBF gefördert und zwar als einziges Labor im Rahmen des Programms „Konzeptions- und Vorbereitungsmaßnahmen deutscher Hochschulen zur Etablierung gemeinsamer Forschungsstrukturen mit Partnern im asiatisch-pazifischen Forschungsraum“. Die Universität Mainz profiliert sich ebenfalls auf dem Gebiet der Nanobiotechnologie, die zukünftig vor allem in der Medizin für Furore sorgen könnte. Dementsprechend interessieren sich die Mainzer Forscher insbesondere für die klinischen Erfahrungen der chinesischen Kollegen. So wurde in China bereits 2002 ein nanomedizinisches Knochenersatzprodukt patentiert und in klinischen Studien getestet. Seitdem wurden mehr als 3.000 Patienten erfolgreich mit dem sogenannten „Nano-Bone“ behandelt. Nano-Bone ist hochporös und aus extrem feinem Nano-Hydroxylapatit aufgebaut. Diese Struktureigenschaft ermöglicht ein Anheften der Zellen und Einwachsen in den Knochen. Wie Tierversuche ergaben, ist Nano-Bone bioaktiv und biologisch abbaubar. Das vielversprechende Knochenersatzmaterial wurde von Prof. Dr. Fu-Zhai Cui entwickelt, dem Direktor des Biomaterials Lab am Department of Materials Science & Engineering der Tsinghua University in Peking. Cui konzentriert sich seit Jahren auf Entwicklungen im Bereich Tissue Engineering, wobei er eng mit der am selben Institut forschenden Materialwissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Qingling Feng zusammenarbeitet. Feng wurde für ihre Forschungsleistungen zu Struktur und Eigenschaften biomedizinischer Materialien vielfach ausgezeichnet, sodass beide ideale Partner für das Joint Lab darstellen. Zukünftig soll das Joint Lab auch für den Beitritt weiterer Partner aus anderen Ländern der APRA offen stehen.

Der Kooperationsvertrag wurde von deutscher Seite von dem Vizepräsidenten für Forschung der Johannes Gutenberg-Universität, Prof. Dr. Ulrich Förstermann, dem Wissenschaftlichen Vorstand der Universitätsmedizin Mainz, Prof. Dr. Dr. Reinhard Urban, und der Ministerialdirigentin Brigitte Klempt vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur unterzeichnet. Von chinesischer Seite wurde der Vertrag durch einen Vertreter des chinesischen Generalkonsulates in Frankfurt, dem Direktor der Präsident der Chinese Academy of Geological Sciences und der Direktor des National Research Center for Geoanalysis, beide aus Peking unterschrieben. Auch war ein Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zugegen.

„Die Kooperation mit den chinesischen Partnern ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, um die Mainzer Universitätsmedizin und Universität international zu vernetzen und noch wettbewerbsfähiger zu machen. An der Schnittstelle zwischen Medizin, Material- und Umweltwissenschaften verspreche ich mir von dieser herausragenden Forschungseinheit wichtige innovative Impulse“, sagte die Ministerialdirigentin Brigitte Klempt vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung, Wissenschaft Jugend und Kultur anlässlich der heutigen Unterzeichnung des Kooperationsvertrages.

„Internationale Forschungskooperationen sind in einer auch im universitären Bereich zunehmenden Globalisierung und Netzwerkbildung unverzichtbar. Mit der Vereinbarung eines zudem vom BMBF geförderten Forschungsprojekts zwischen Mainz und Peking gelingt ein großer Schritt in Richtung einer Lösung globaler Probleme in den Bereichen Medizin und Umwelt“, erklärte Prof. Dr. Dr. Reinhard Urban, Wissenschaftlicher Vorstand der Universitätsmedizin Mainz.

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 50 Kliniken, Institute und Abteilungen sowie zwei Einrichtungen der medizinischen Zentralversorgung – die Apotheke und die Transfusionszentrale – gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de.

Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Werner E. G. Müller
Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Duesbergweg 6, 55128 Mainz
Tel.: +49 (0) 6131 39 – 25910
Fax: +49 (0) 6131 39 – 25243
E-Mail: wmueller@uni-mainz.de
Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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