Der unwiderstehliche Geruch kranker Taufliegen

Ian Keesey analysiert die Düfte einzelner Fliegen mittels GC/MS (Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung). Bei kranken Fliegen waren deutlich erhöhte Mengen der Fliegenpheromone messbar. Anna Schroll

Wissenschaftler der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie um Markus Knaden und Bill Hansson forschen an ökologisch relevanten Düfte in der natürlichen Lebenswelt von Insekten, insbesondere von Taufliegen. Im Mittelpunkt der aktuellen Studie steht ein Duft, der den Fliegen den Tod verheißen sollte: der Geruch von Artgenossen, die an einer tödlich verlaufenden bakteriellen Infektion erkrankt waren.

„Wir hatten anfangs gehofft, dass wir einen eigenen neuronalen Schaltkreis finden, der dafür sorgt, dass die Fliegen den Todesduft unbedingt meiden. Stattdessen haben wir beobachtet, dass die Fliegen den Duft von Artgenossen, die mit bakteriellen Krankheitserregern infiziert waren, besonders attraktiv fanden. Kranke Fliegen bildeten sogar besonders große Mengen an Pheromonen, gegen deren verlockende Wirkung andere Fliegen quasi machtlos waren. Sie können also gar nicht anders als sich anzustecken“, sagt Markus Knaden, einer der Studienleiter.

Mithilfe von modernsten Analysemethoden konnten die Forscher die Düfte einzelner Fliegen identifizieren und deren Menge messen. Infizierte Taufliegen und auch deren Kot gaben dramatisch erhöhte Mengen an typischen Fliegendüften ab, die für ihre Artgenossen attraktiv sind. Die Vermutung, dass eine verzweifelte Duftabgabe den erkrankten Tieren zu einem letzten Fortpflanzungserfolg verhelfen soll, konnten die Forscher durch Paarungsexperimente widerlegen: Kranke Taufliegen waren zur Paarung oft kaum noch fähig.

Der an der Studie beteiligte Insektenimmunologe Nicolas Buchon von der Cornell University und seine Mitarbeiter stellten fest, dass der Anstieg der Pheromonproduktion bei den Fliegen zeitgleich mit bestimmten Reaktionen des Immunsystems erfolgte. Ian Keesey, der Erstautor der Studie, und seine Kollegen in Jena testeten daher Fliegenmutanten, bei denen diese Immunantworten nicht ausgelöst werden können, und stellten fest, dass sie bei Infektionen deutlich weniger Pheromone bildeten als ihre kranken Artgenossen ohne diese Mutation.

Aufgrund weiterer Untersuchungen gehen die Forscher davon aus, dass Bakterienwachstum und krankheitsbedingte Schädigungen Ursachen für die dramatisch erhöhte Pheromonbildung bei kranken Fliegen sind.

Die Wissenschaftler haben in Experimenten mit anderen Fliegenarten ähnliche Phänomene beobachtet: Bei sieben weiteren Arten der Gattung Drosophila sowie bei der Ägyptischen Tigermücke Aedes aegyptii sorgte die Infektion mit dem Krankheitserreger für einen starken Anstieg der körpereigenen Düfte. Die Manipulation der sozialen Kommunikation von Insekten durch krankheitserregende Bakterien scheint also in der Natur kein Einzelfall zu sein.

Markus Knaden hofft darauf, dass die Erkenntnisse einmal nutzbringend angewendet werden können: „Pheromonfallen sind eine gute Methode um Insekten zu bekämpfen, die Krankheiten übertragen oder landwirtschaftliche Schäden anrichten. Die Infektion von Insekten mit Bakterien und die damit verbundene erhöhte Produktion von Pheromonen könnten uns dabei helfen, neue Insektenpheromone zu identifizieren, auch von Insektenarten, die bislang nicht untersucht worden sind.“ [AO/KG]

Originalveröffentlichung:
Keesey, I. W., Koerte, S., Khallaf, M. A., Retzke, T., Guillou, A., Grosse-Wilde, E., Buchon, N., Knaden, M., Hansson, B. S. (2017). Pathogenic bacteria enhance dispersal through alteration of Drosophila social communication. Nature Communications. DOI: 10.1038/10.1038/s41467-017-00334-9
http://dx.doi.org/10.1038/10.1038/s41467-017-00334-9

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Bill S. Hansson, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str. 8, 07743 Jena, +49 3641 57-1401, E-Mail hansson@ice.mpg.de
Dr. Markus Knaden, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str. 8, 07743 Jena, +49 3641 57-1421, E-Mail mknaden@ice.mpg.de

Kontakt und Bildanfragen:
Angela Overmeyer M.A., Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str. 8, 07743 Jena, +49 3641 57-2110, E-Mail overmeyer@ice.mpg.de

Download von hochaufgelösten Fotos über http://www.ice.mpg.de/ext/downloads2017.html

http://www.ice.mpg.de/ext/index.php?id=evolutionary-neuroethology&L=1 Abteilung Evolutionäre Neuroethologie

Media Contact

Angela Overmeyer Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer