Der leise Kampf der Pilze: Jenaer Wissenschaftler identifizieren einzigartigen Abwehrmechanismus

Der extrem seltene Pilz BY1 bildet zu seiner Verteidigung vor Fressfeinden gelbe Abwehrstoffe, wie das Team um Dirk Hoffmeister von der Friedrich-Schiller-Universität Jena jetzt herausfand. (Foto: Philip Brandt)

Die Natur ist ein Wechselspiel: Tiere, Pflanzen und auch Pilze sind in einem ständigen Austausch – von der symbiotischen Vernetzung bis hin zum Kampf ums Überleben. Zur Verteidigung vor beispielsweise Fressfeinden haben sich daher eine Vielzahl von Abwehrmechanismen etabliert: Doch wo Tiere flüchten, kämpfen oder Laute von sich geben können, bleibt gerade Pilzen oder Pflanzen nur der Kampf im Stillen.

Zwar unterstützen Pilze durch Symbiosen das Pflanzenwachstum oder spielen eine wichtige Rolle im Kohlenstoff-Kreislauf. Gleichzeitig sind sie jedoch zahlreichen Organismen ausgesetzt, die sich von ihnen ernähren oder auf ihnen parasitieren. Die Pilze ergeben sich aber nicht kampflos, wie die kürzlich erschienene Studie von Dirk Hoffmeister und seinen Kollegen vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – und der Technischen Universität Dortmund einmal mehr beweist.

Gelbe Farbstoffe wehren die angreifenden Larven ab

Sobald beispielsweise Insektenlarven beginnen, den Pilz BY1 – ein Verwandter der heimischen Schichtpilze – zu fressen, produziert er an den verletzten Stellen zwei sogenannte Polyen-Carbonsäuren. Das sind gelbe Farbstoffe, die die angreifenden Larven abwehren. Dies ist insofern ungewöhnlich, da die Struktur der Substanzen auf einem eher untypischen Molekülgerüst aufbaut.

Für die Synthese der Polyene ist außerdem nur ein einziges, neu entdecktes Enzym verantwortlich, das zur Gruppe der Polyketidsynthasen gehört. Das Forscherteam fand heraus, dass diese Polyketidsynthase die Abwehrstoffe auch über einen sehr ungewöhnlichen und bisher unbekannten Mechanismus verändert: Sie verschiebt zahlreiche Kohlenstoff-Doppelbindungen innerhalb des Moleküls. Die Erkenntnis der Wissenschaftler erklärt die Auseinandersetzung von BY1 mit seiner Umwelt und zeigt, wie sich der Pilz zwar leise, aber trotzdem nachdrücklich verteidigt.

Zur Überprüfung der Ergebnisse rekonstruierten die Jenaer Forscher die Biosynthese erfolgreich im Schimmelpilz „Aspergillus niger“. Auch er produzierte daraufhin die ungewöhnlichen gelben Abwehrstoffe. „Die Gene für diese Art Farbstoffe sind weit verbreitet bei den Pilzen. Wir nehmen daher an, dass es sich bei dieser Verteidigungsstrategie um ein viel allgemeineres und weit verbreitetes Abwehrprinzip handelt“, ordnet Hoffmeister die Forschungsergebnisse ein. „Unsere Studien tragen entsprechend dazu bei, Pilze in ihrer Umwelt und im Austausch mit anderen Organismen besser zu verstehen.“

Weltweit bisher nur ein einziges Mal gefunden

BY1 wurde in der Natur weltweit bisher nur ein einziges Mal gefunden. Bei seiner ungewöhnlichen Bezeichnung handelt es sich um ein reines Laborkürzel und keinen regulären Artennamen. Da BY1 an seinem natürlichen Standort das Wachstum anderer Pilze hemmt, forschten die Wissenschaftler zunächst nach sogenannten antifungalen Verbindungen. Solche Substanzen kämen auch als Wirkstoffe gegen Pilzinfektionen infrage. Erst durch genaue Beobachtungen und die richtigen Schlussfolgerungen ergründeten die Forscher das zweite Geheimnis von BY1 und entdeckten die larvenabwehrenden Stoffe.

Das Forschungsergebnis unterstreicht einen wichtigen wissenschaftlichen Schwerpunkt der Universitätsstadt Jena, denn die Studie entstand im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „ChemBioSys“. Hier beschäftigen sich Forschungsgruppen der Universität und mehrerer außeruniversitärer Institute mit der Kommunikation von Organismen, die ausschließlich durch chemische Signalstoffe gesteuert wird. Der Abwehrmechanismus vom Pilz BY1 ist ein Paradebeispiel für solch eine Interaktion mit der Umwelt auf Basis von chemischen Verbindungen.

Originalpublikation:
Brandt P, García-Altares M, Nett M, Hertweck C, Hoffmeister D (2017) Induced chemical defense of a mushroom by a double bond-shifting polyene synthase. Angew Chem Intl Ed, 56, 5937-5941.

Kontakt:
Prof. Dr. Dirk Hoffmeister
Institut für Pharmazie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Winzerlaer Straße 2
07745 Jena
Tel.: 03641 / 949851
E-Mail: dirk.hoffmeister[at]leibniz-hki.de

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Monika Weiß idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.uni-jena.de/

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