Computer liest Gedanken: Aktivitätsmuster des Gehirns lassen erkennen, was eine Person schmeckt

Studienteilnehmerin bei Geschmackstest Till Budde/DIfE

Wie die Forscher zudem zeigen, erreichen die über die Zunge wahrgenommenen Geschmackssignale sehr viel schneller das Gehirn als angenommen. Sie zählen somit zu den ersten neuronalen Informationen, die zum Gesamtgeschmackseindruck beitragen, der auch durch andere Sinne wie zum Beispiel den Geruchssinn geprägt ist.

Das dreiköpfige Forscherteam, zu dem neben Kathrin Ohla auch Sébastien M. Crouzet und Niko A. Busch von der Charité Berlin gehören, veröffentlichte seine Daten jetzt in der Fachzeitschrift Current Biology (Crouzet et al., 2015; DOI 10.1016/j.cub.2015.01.057).

„Die Fähigkeit zu schmecken ist für die Nahrungsauswahl und das Entstehen von Nahrungsvorlieben entscheidend. Dabei kann eine gestörte Wahrnehmung oder Bewertung des Geschmacks ein gestörtes Essverhalten fördern, das wiederum eine Fehl- oder Überernährung begünstigt“, erklärt Ohla, die am DIfE die Nachwuchsgruppe Psychophysiologie der Nahrungswahrnehmung leitet.

„Unser Ziel ist es, dazu beizutragen, die an der Geschmackswahrnehmung beteiligten neuronalen Abläufe im menschlichen Gehirn besser zu verstehen, um Ansätze für neue Strategien zu entwickeln, die einem ungesunden Ernährungsverhalten entgegenwirken“, ergänzt Psychologe Busch.

Das Repertoire der menschlichen Wahrnehmung umfasst mindestens fünf Geschmacksqualitäten: salzig, süß, umami, sauer und bitter. Sobald ein Geschmacksstoff an einen Geschmacksrezeptor im Mund bindet und diesen aktiviert, leitet er ein Signal über Nervenbahnen an das Gehirn weiter.

Dabei ist jedem Rezeptor jeweils eine der fünf Geschmacksqualitäten zugeordnet. Bislang war weitgehend unbekannt, wie das menschliche zentrale Nervensystem diese Signale aus der Peripherie verarbeitet und wie es die Grundgeschmacksarten kodiert.

Um diese Frage zu beantworten, haben die Forscher mittels Elektroenzephalografie (EEG) Hirnströme gemessen – winzige elektrische Signale, die von Milliarden von Nervenzellen des menschlichen Großhirns produziert werden. Die Hypothese war, dass die verschiedenen Geschmacksrichtungen im Gehirn durch unverwechselbare neuronale Aktivitätsmuster mit einer charakteristischen räumlichen Verteilung repräsentiert werden.

Wie die Wissenschaftler nun zeigen, erzeugen die Geschmacksqualitäten bereits etwa 175 Millisekunden nach einem entsprechenden Geschmacksreiz, geschmacksspezifische Aktivitätsmuster. Demnach lösen Geschmacksreize im Gehirn sehr viel schneller eine Antwort aus, als ursprünglich angenommen. Zudem konnten die Forscher ein Computerprogramm darauf trainieren, diese Muster zu erkennen und vorherzusagen, welche Geschmackslösung ein Studienteilnehmer gerade verkostet.

Diese Form des „Gedankenlesens“ funktionierte so zuverlässig, dass die Forscher sogar die subjektive Wahrnehmung der Probanden vorhersagen konnten: Geschmacksrichtungen, die von den Probanden häufig verwechselt wurden (z. B. salzig und sauer) waren auch für das Computerprogramm schwierig zu differenzieren.

Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Forscher in dieser Analyse tatsächlich den Code dechiffrieren konnten, in dem das menschliche Großhirn subjektives Geschmacksempfinden speichert. „Unsere Ergebnisse geben erstmals einen tiefen Einblick in den zeitlichen Ablauf der Geschmackssignalverarbeitung im Gehirn.

Zudem zeigen sie, wie das menschliche zentrale Nervensystem die Signale der Grundgeschmacksarten verarbeitet und dass die Art der im Gehirn entstandenen neuronalen Aktivitätsmuster erkennen lässt, was ein Studienteilnehmer schmeckt“, sagt Kathrin Ohla. „Zukünftig wollen wir untersuchen, inwieweit Aktivierungsmuster Aussagen darüber erlauben, wie appetitlich Probanden einen Geschmacksreiz finden. Die Ergebnisse können uns helfen, individuelle Geschmacksvorlieben zu entschlüsseln und sind damit auch für klinische Anwendungen relevant“, so die Wissenschaftlerin weiter.

Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Weitere Informationen zum DZD finden Sie unter http://www.dzd-ev.de.

Die Leibniz-Gemeinschaft vereint 89 Einrichtungen, die anwendungsbezogene Grundlagenforschung betreiben und wissenschaftliche Infrastruktur bereitstellen. Insgesamt beschäftigen die Leibniz-Einrichtungen rund 17.500 Menschen – darunter 8.800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bei einem Jahresetat von insgesamt knapp 1,5 Milliarden Euro. Die Leibniz-Gemeinschaft zeichnet sich durch die Vielfalt der in den Einrichtungen bearbeiteten Themen und Disziplinen aus. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft bewahren und erforschen das natürliche und kulturelle Erbe. Darüber hinaus sind sie Schaufenster der Forschung, Orte des Lernens und der Faszination für die Wissenschaft. Weitere Informationen erhalten Sie unter http://www.leibniz-gemeinschaft.de.

Kontakt:
Dr. Kathrin Ohla
Nachwuchsgruppe Psychophysiologie der Nahrungswahrnehmung
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/ Deutschland
Tel.: +49 (0)33200/ 88-2543
E-Mail: kathrin.ohla@dife.de

Pressekontakt:
Dr. Gisela Olias
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/Deutschland
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http://www.dife.de/forschung/abteilungen/kurzprofil.php?abt=PSY Nachwuchsgruppe Psychophysiologie der Nahrungswahrnehmung am DIfE
http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2015.01.057 Ein pdf-File des Manuskriptes ist über die Seiten von Cell Press bei Eurekalert verfügbar.

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