Bittergeschmack spielt auch bei Hühnern und Puten eine wichtige Rolle

Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) und des Instituts für Genetik der Universität Köln gibt hierfür nun erstmals eine Erklärung. Wie sie zeigt, kompensieren die Vögel die geringe Rezeptorvielfalt und damit einen denkbaren Selektionsnachteil, durch ein sehr breites Erkennungsspektrum ihrer Sensoren.

Die Geschmacksforscher unter Führung von Maik Behrens vom DIfE veröffentlichten ihre Ergebnisse nun in der Fachzeitschrift Molecular Biology and Evolution (M. Behrens et al. 2014; DOI:10.1093/molbev/msu254).

Die Fähigkeit, Bitteres zu schmecken, ist wichtig, um das Verschlucken potentiell giftiger Stoffe zu vermeiden. Wissenschaftler gingen dabei bislang davon aus, dass eine große Rezeptorvielfalt notwendig ist, um möglichst viele der zahlreichen aber strukturell doch sehr unterschiedlichen Bittersubstanzen zu erkennen und einen möglichst großen Selektionsvorteil zu haben.

Die Beobachtung, dass Puten und Hühner nur zwei bis drei verschiedene Bitterrezeptoren besitzen, stellte die Forscher daher vor die Frage: Spielt die Geschmackswahrnehmung bei der Evolution von Hühnervögeln eher eine untergeordnete Rolle oder gibt es für die Beobachtung eine andere Erklärung?

Für Ersteres würde sprechen, dass Hühner nur über wenige Geschmacksknospen verfügen, wenig Speichel produzieren sowie ihre Nahrung nicht kauen. Zudem besitzen sie ähnlich wie Katzen keinen funktionstüchtigen Süßgeschmacksrezeptor.

Die von den Geschmacksforschern nun erstmals durchgeführten, umfassenden Genanalysen sowie eine funktionelle Überprüfung der Bitterrezeptoren mit 46 verschiedenen Bitterstoffen in einem zellulären Testsystem geben nun eine andere Erklärung. Wie sie zeigen, sind Hühnervögel durchaus in der Lage, mit nur zwei bis drei verschiedenen Rezeptorvarianten ein breites Spektrum von Bitterstoffen zu erkennen.

„Wenige Rezeptoren mit einem breiten Erkennungsspektrum reichen anscheinend bei der Ernährungsweise von Hühnervögeln aus, um die Tiere vor Vergiftungen zu schützen und einen Selektionsnachteil zu vermeiden“, sagt Erstautor Maik Behrens. Wie frühere Untersuchungen der Potsdamer Forscher belegen, erkennen auch drei der 25 menschlichen Bitterrezeptortypen ein sehr breites, überlappendes Spektrum an Bitterstoffen, wohingegen andere sehr spezifisch nur wenige Bitterstoffe detektieren. Ähnliches beobachteten die Wissenschaftler in ihrer neuen Arbeit auch beim Krallenfrosch.

Doch welchen Sinn macht es dann, dass im Gegensatz zu den Hühnervögeln andere Wirbeltierspezies wie der Mensch oder der Krallenfrosch viele zusätzliche Rezeptorvarianten entwickelt haben, die nur einzelne Bitterstoffe erkennen? Eine weitere Erkenntnis der Potsdamer Geschmacksforscher könnte hierauf eine Antwort geben:

„Wie wir bereits 2011 beobachteten**, produzieren einige Pflanzen Bitterstoffe, die zumindest beim Menschen einige der Bitterrezeptoren aktivieren aber gleichzeitig andere hemmen“, erklärt Wolfgang Meyerhof, der die Abteilung Molekulare Genetik am DIfE leitet.

„Würde der Mensch nur über zwei Rezeptorvarianten verfügen, wäre die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass alle Bitterrezeptoren gehemmt und giftige Bittersubstanzen verschluckt würden“, so der Experte weiter. „Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Hühner und Puten generell empfänglicher für ernährungsbedingte Vergiftungen sein könnten als Menschen und Frösche. Eine Hypothese, die zukünftig überprüft werden sollte“, sagt Geschmacksforscher Maik Behrens.

Link zur Publikation: http://mbe.oxfordjournals.org/content/early/2014/09/22/molbev.msu254.full.pdf+ht…

Hintergrundinformationen:

* Bei der untersuchten Froschart handelt es sich um den Krallenfrosch Xenopus tropicalis.

** DIfE-Wissenschaftler isolierten bereits 2011 in Zusammenarbeit mit italienischen Forschern der Universität Piemont zwei natürliche Substanzen aus Wermutgewächsen, die Bitterstoff und Bitterblocker in einem sind. Sie aktivieren einige der 25 Bittergeschmacksrezeptoren, hemmen aber gleichzeitig andere Bittersensoren des Menschen, so dass diese von bestimmten Bitterstoffen nicht mehr oder nur schwach aktiviert werden. Als Folge nimmt die Intensität des „Bittersignals“ ab. (Quelle: The Journal of Neuroscience; Brockhoff, A. et al. 2011; DOI:10.1523/JNEUROSCI.2923-11.2011)

Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsbedingter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Forschungsschwerpunkte sind dabei Adipositas (Fettsucht), Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Näheres unter http://www.dife.de. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Näheres unter http://www.dzd-ev.de.

Die Leibniz-Gemeinschaft vereint 89 Einrichtungen, die anwendungsbezogene Grundlagenforschung betreiben und wissenschaftliche Infrastruktur bereitstellen. Insgesamt beschäftigen die Leibniz-Einrichtungen rund 17.200 Menschen – darunter 8.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bei einem Jahresetat von insgesamt knapp 1,5 Milliarden Euro. Die Leibniz-Gemeinschaft zeichnet sich durch die Vielfalt der in den Einrichtungen bearbeiteten Themen und Disziplinen aus. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft bewahren und erforschen das natürliche und kulturelle Erbe. Darüber hinaus sind sie Schaufenster der Forschung, Orte des Lernens und der Faszination für die Wissenschaft. Näheres unter http://www.leibniz-gemeinschaft.de.

Kontakt:

Dr. habil. Maik Behrens
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Abteilung Molekulare Genetik
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal
Tel: +49 (0)33200 88 2545
E-Mail: behrens@dife.de

Prof. Dr. Wolfgang Meyerhof
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Abteilung Molekulare Genetik
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal
Tel: +49 (0)33200 88 2282/2556
E-Mail: meyerhof@dife.de

Pressekontakt:

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Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/Deutschland
Tel.: +49 (0)33200 88-2278/-2335
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