Biochemiker lösen Rätsel in der Evolution von Enzymen

Ausgehend von seinen Untersuchungen an tRNA-Nukleotidyltransferasen – Enzymen, die aus einzelnen Bausteinen (Nukleotiden) Ribonucleinsäuren (in diesem Fall transfer-RNAs) aufbauen bzw. vervollständigen können – ist das Team um Biochemiker Mörl einen wichtigen Schritt vorangekommen. In der aktuellen Ausgabe von PNAS berichtet es über den Aufbau und die Funktion eines sogenannten A-addierenden Enzyms – ein Enzym, das ganz gezielt einen einzelnen Nukleotid-Baustein (Adenosinmonophosphat oder kurz „A“) an tRNAs heftet. Erstmals erklären sie, warum diese Enzyme trotz ihrer Ähnlichkeit zu komplexeren Nukleotidyltransferasen nur diese eingeschränkte Reaktion katalysieren können.

tRNA-Nukleotidyltransferasen heften drei Nukleotidbausteine (zwei Cytidinmonophosphate, kurz „C“, und ein Adenosinmonophosphat, „A“) in der Reihenfolge C-C-A an tRNA-Moleküle und generieren dabei die Position, an der tRNAs mit Aminosäuren beladen werden – eine essentielle Voraussetzung bei der Synthese von Proteinen in der Zelle.

Zunächst war es ein interessantes Phänomen, das Professor Mörl so beschreibt: „Einige dieser Enzyme können nicht die komplette Sequenz C-C-A synthetisieren, sondern sind auf den Einbau der beiden C-Positionen (CC-addierende Enzyme) bzw. der A-Position (A-addierende Enzyme) spezialisiert.

Beide Enzymtypen sehen jedoch auf den ersten Blick gleich aus, sodass nicht klar war, woher diese Spezialisierung kommt.“ In einer vorangegangenen PNAS-Veröffentlichung (2008) konnten die Forscher bereits klären, weshalb die CC-addierenden Enzyme kein A einbauen können. Bei den A-addierenden Enzymen war dies jedoch deutlich schwieriger: Strukturell gesehen besitzen diese Enzyme alle Komponenten, die nötig sind, um eine komplette C-C-A-Sequenz an tRNAs zu heften.

Aktuell ging es somit um die Frage: „Wenn diese Enzyme alle Elemente zur C-C-A-Addition tragen, warum können sie dann lediglich einen einzelnen A-Rest einbauen?“. Die Leipziger Biochemiker entfernten dazu sukzessive immer größere Teile von A-addierenden Enzymen und testeten die entstandenen verkürzten Varianten auf ihre Aktivität. Dabei zeigte sich, dass eine kleine Region dafür verantwortlich ist, dass die A-addierenden Enzyme eine eingeschränkte Funktionalität besitzen. Entfernte man diese Region, so konnten die Enzyme tatsächlich komplette C-C-A-Sequenzen synthetisieren. Die inhibitorische Wirkung dieser Region scheint darin zu liegen, dass über sie reguliert wird, welche tRNAs vom Enzym erkannt werden – nämlich nur noch tRNAs, die bereits die Sequenz C-C erhalten haben und denen somit nur noch das letzte A fehlt. Der Bereich, in dem sich diese Region befindet, ist in der Evolution überraschend variabel und kaum konserviert. Die erhaltenen Daten weisen darauf hin, dass diese Region offenbar von der Natur genutzt wurde, um im Lauf der Evolution die Funktionalität dieser Enzyme zu verändern und sie mit neuen Eigenschaften auszustatten.

Tretbar, S., Neuenfeldt, A., Betat, H., and Mörl, M. (2011) An inhibitory C-terminal Region dictates the Specificity of A-adding Enzymes.

Proc. Natl. Acad. Sci. USA 108, No. 52, 21040-21045.

Editing-Reaktionen als Enzymaktivitäten

Eine weitere aktuelle Veröffentlichung aus der gleichen Arbeitsgruppe beschäftigt sich ebenfalls mit der Entstehung von neuen Enzymfunktionen. Manche RNAs müssen nach ihrer Synthese an einzelnen Positionen noch verändert bzw. durch den Einbau zusätzlicher Nukleotid-Bausteine korrigiert werden. Diese Reaktionen bezeichnet man als „RNA-Editing“.

Wie beim klassischen Henne – Ei – Problem stellt sich hierbei die interessante Frage, wie diese Editing-Ereignisse entstanden sind. Einer gängigen Hypothese nach müssen zunächst Nukleotid-einbauende Enzyme vorhanden gewesen sein, die über ein breites Substratspektrum verfügten und somit Bausteine in viele verschiedene RNA-Moleküle einbauten. Erst dann konnten durch Mutationen im Erbgut RNAs entstehen, die durch diese Enzyme editiert und damit wieder korrigiert wurden. Durch verschiedene Experimente an Hefe wies das Team um Professor Mario Mörl nun ein derartiges substrat-tolerantes Enzym nach, das über die beschriebenen Eigenschaften verfügt.

Bislang war diese Enzymaktivität dafür bekannt, eine Qualitätskontrolle an RNAs durchzuführen, wobei es fehlerhafte und unvollständige RNAs durch das Anheften von Nukleotiden zum Abbau markierte. Mit dieser Funktion ist es aber offensichtlich auch in der Lage, unvollständige RNAs zu komplettieren und damit eine Editing-Funktion zu übernehmen. Damit gelang es der Arbeitsgruppe, die Theorie zur Evolution von RNA-Editing Ereignissen experimentell zu belegen und ein entsprechendes Kandidaten-Enzym für Editing-Reaktionen zu identifizieren, das tatsächlich alle bisher postulierten Eigenschaften besitzt.

Molecular Biology and Evolution. 2012.

Anne Alexander

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Mario Mörl
Telefon: +49 341 97-36911
E-Mail: moerl@uni-leipzig.de

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Dr. Manuela Rutsatz Universität Leipzig

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