Artbildung ohne räumliche Trennung und lange Isolation

Am Beispiel des Feuersalamanders haben Forscher von der Universität Bielefeld um Dr. Sebastian Steinfartz (Arbeitsgruppe Molekulare Ökologie und Verhalten) in enger Zusammenarbeit mit Forschern der Universität zu Köln (Prof. Dr. Diethard Tautz und Dr. Markus Weitere) einen großen Schritt bei der Aufklärung von Artbildungsprozessen gemacht.

In ihrer neuesten Veröffentlichung in der November-Ausgabe der Zeitschrift „Molecular Ecology“ (Band 16, Seite 4550-4561) zeigen sie, dass im Kottenforst, einem kleinen geschlossenen Waldgebiet bei Bonn, eine Population des Feuersalamanders sich unter „sympatrischen“ Bedingungen in zwei genetisch differenzierte Gruppen aufgetrennt hat. „Sympatrisch“ meint das unmittelbare Nebeneinandervorkommen nahe miteinander verwandter Tier- oder Pflanzenarten. Der Befund der Wissenschaftler steht im Gegensatz zur Lehrbuchmeinung, dass Artbildungsprozesse vor allem „allopatrisch“, durch räumliche Trennung und sehr lange Isolation, erfolgen. Zugleich zeigt er deutlich, dass die Erforschung von Artbildung nicht zwangsläufig an ferne, tropische Gebiete gebunden sein muss, sondern auch direkt vor unserer Haustür stattfinden kann.

Es gibt wohl wenige Fragen innerhalb der Evolutionsbiologie und vielleicht innerhalb der Biologie überhaupt, die schon so lange und so kontrovers diskutiert werden, wie die Frage der Entstehung einer neuen Art. 125 Jahre nach dem Tod von Charles Darwin muss diese zentrale Frage der Evolutionsforschung immer noch als weitgehend ungeklärt angesehen werden. Im Zuge der so genannten „Molekularen Revolution“ der letzten 15 Jahre ist aber sehr deutlich geworden, dass Arten in relativ kurzen Zeitspannen von wenigen hundert Generationen ohne die von Autoritäten wie Ernst Mayr postulierte räumliche Trennung und lange Isolation entstehen können – also in einer Kon-taktsituation unter sympatrischen Bedingungen. Die Mechanismen, die diesem Artbildungsprozess zugrunde liegen, sind bisher vor allem theoretisch formuliert worden, wohingegen die Verifizierung dieser Mechanismen in natürlichen Untersuchungssystemen bisher kaum stattgefunden hat.

Besonders bemerkenswert ist an den jetzt veröffentlichten Ergebnissen, dass die entdeckte genetische Differenzierung spezifische Lebensraumanpassungen der Feuersalamander widerspiegelt – nämlich an die Fortpflanzung in stehenden Gewässern einerseits und an die Fortpflanzung in fließenden Gewässern andererseits. Dies muss als ein Prozess der durch Anpassung an unterschiedliche Lebensräume erfolgten so genannten „adaptiven“ Artbildung angesehen werden. Da die Feuersalamander erst nach der letzten Eiszeit den Kottenforst vor rund 6000 bis 8000 Jahren wiederbesiedelt haben können, handelt es sich hierbei um ein frühes Stadium der adaptiven Artbildung. Gerade dies ist jedoch für die Wissenschaft hochinteressant, da in diesem Stadium am ehesten die zugrunde liegenden Mechanismen der adaptiven Artbildung untersucht werden können. Die Identifizierung der Differenzierungs- und möglichen Artbildungsmechanismen soll nun in den kommenden Jahren in ganz verschiedenen Projekten untersucht werden. Hierbei ist die Kenntnis allgemein biologischer Parameter wie das spezifische Ausbreitungs- und Wanderverhalten als auch das Reproduktionsverhalten der Feuersalamander enorm wichtig, um die genetischen Befunde korrekt interpretieren zu können. Zurzeit wird die Erforschung der Mechanismen der adaptiven Artbildung beim Feuersalamander sowohl durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft als auch durch die VolkswagenStiftung in Form von Einzelprojekten gefördert und maßgeblich unterstützt.

Kontakt:
Dr. Sebastian Steinfartz,
Molekulare Ökologie und Verhalten, Fakultät für Biologie, Universität Bielefeld
E-Mail: sebastian.steinfartz@uni-bielefeld.de

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Ingo Lohuis idw

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