Ein Gen macht Apfelwickler 100.000-fach unempfindlicher gegen bewährtem Mittel für Ökoanbau

Baculoviren sind natürlich vorkommende Krankheitserreger von Insekten. Mit ihnen lassen sich einzelne Schadinsektenarten gezielt bekämpfen, ohne dass andere nützliche Insekten oder Lebewesen Schaden nehmen. Daher werden Viruspräparate seit vielen Jahren als umweltfreundliche und ökologisch unbedenkliche biologische Pflanzenschutzmittel eingesetzt.

So werden in Deutschland die gefräßigen Larven des Apfelwicklers im Apfel-Ökoanbau mit dem Apfelwicklergranulosevirus bekämpft. 2005 hatten Wissenschaftler der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) aus Darmstadt und der Universität Hohenheim erstmals gezeigt, dass Apfelwickler in einigen ökologischen Obstanlagen zunehmend unempfindlicher auf die biologischen Präparate reagierten. Mittlerweile sind in insgesamt 13 Apfelanlagen in Südwest-Deutschland virusresistente Apfelwickler nachgewiesen worden.

Es ist die weltweit erste Feldresistenz gegenüber einem Baculoviruspräparat. Wissenschaftler mehrerer Forschungseinrichtungen unter der Federführung des Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz (DLR) konnten nun aufklären, wie diese Resistenz bei den Insekten vererbt wird. Im Wissenschaftsmagazin SCIENCE berichten die Wissenschaftler aus dem DLR Rheinpfalz, der BBA Darmstadt, der Universität Hohenheim und dem Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena, warum sich die Resistenz so ungewöhnlich rasch entwickelt hat.

Ein entscheidender Faktor für die rasche Entstehung resistenter Apfelwickler ist die Position des Resistenz auslösenden Gens auf den Geschlechtschromosomen der Insekten. Während es beim Menschen zwei Geschlechtschromosmen X und Y gibt und die Frauen XX und die Männer XY tragen, ist es bei Apfelwicklern genau umgekehrt: Dort heißen die Geschlechtschromosomen Z und W und die Weibchen tragen ZW und die Männchen ZZ. Eine einzige Genveränderung auf dem Z-Chromosom der Apfelwickler-Weibchen reicht damit aus, um sie 100.000-fach weniger anfällig für die Infektion durch das Virus zu machen.

Solche hochresistenten Weibchen geben bei der Paarung mit nichtresistenten Männchen das auf ihrem Z-Chromosom platzierte Resistenzgen an ihre männlichen Nachkommen weiter. So gibt es in der ersten Folgegeneration nur Männchen, die auf einem der beiden Geschlechtschromosomen die Resistenz tragen. „Unsere Versuche haben ergeben, dass solche Männchen bei einer niedrigen Dosis des Apfelwicklergranulovirus noch in der Lage sind, sich zu verpuppen“, berichtet Dr. Johannes Jehle vom DLR Rheinpfalz. Sie überleben also den Einsatz des biologischen Pflanzenschutzmittels und geben ihr Resistenzgen an die nächste Generation weiter. „In der Generation aber gibt es dann Männchen, die auf beiden ZZ-Geschlechtschromosomen die Resistenz tragen und damit sogar noch höhere Virusdosen überleben“ so der Leiter der Studie.

„Dieser Vererbungsweg ist die denkbar effizienteste Form für die Insekten, um eine Resistenz möglichst schnell zu verbreiten“, sagt Prof. Dr. David Heckel, Direktor der Abteilung Entomologie am Max-Planck-Institut in Jena. „Wenn der Apfelbauer in solchen Anlagen einen zunehmenden Apfelwicklerbefall feststellt und die Virusmenge erhöht, bewirkt er das Gegenteil: Die Resistenzentwicklung wird beschleunigt und das Gen kann sich rasch in der Insektenpopulation verbreiten“, so das Fazit des Wissenschaftlers. „Das Virus kann dann nicht mehr zur Bekämpfung des Schädlings eingesetzt werden“.

Trotz dieser alarmierenden Erkenntnisse blicken Jehle und seine Kollegen aber zuversichtlich in die Zukunft. Denn parallel zur Aufklärung des Vererbungsmechanismus werden seit 2006 neue Virusisolate getestet, die die festgestellte Resistenz weitgehend brechen. In diesem Jahr wurden bereits viel versprechende Feldversuche in Deutschland, Italien, Frankreich und in der Schweiz durchgeführt. So könnte aus den Forschungsergebnissen bald eine rasche Hilfe für die betroffenen Apfelanbauer bereit stehen.

Originalpublikation:
S. Asser-Kaiser, E. Fritsch, K. Undorf-Spahn, J. Kienzle, K. E. Eberle, N. A. Gund, A. Reineke, C. P. W. Zebitz, D. G. Heckel, J. Huber, J. A. Jehle: „Rapid emergence of baculovirus resistance in codling moth due to dominant, sex-linked inheritance.“ Science (28.09.2007), Bd. 318, Iss. 5846, S. 1916 ff
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Johannes Jehle
Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz
Breitenweg 71, 67435 Neustadt Weinstr.
Tel.: 06321 / 671 482
E-Mail: Johannes.Jehle(at)dlr.rlp.de
Prof. Dr. David Heckel
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Hans-Knöll-Str. 8, 07745 Jena,
Tel.: 03641 / 57 1500,
E-Mail: heckel(at)ice.mpg.de
Dr. Jürg Huber
Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft
Heinrichstr. 243, 64287 Darmstadt
Tel.: 06151 / 407 220
E-Mail: j.huber(at)bba.de

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