Biochemie spielt wichtige Rolle bei Suchtverhalten

Das Suchtverhalten kann nicht nur lebensgeschichtliche, sondern auch handfeste biochemische Ursachen haben. Zu diesem Schluss kommen Experten bei der Europäischen Tagung über Suchttherapie (EAAT-Conference), die derzeit in Wien stattfindet. Das Forscherteam um Jon-Kar Zubieta von der University of Michigan hat festgestellt, dass die Prägung des Nervensystems eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Süchten spielt.

Zubieta und sein Team konnten mit der so genannten Positronenemissionstomographie (PET) die Wirkung von Suchtgiften wie Methadon, Morphin oder Buprenorphin auf das Opioidsystem des Körpers beobachten. Dieses System, das für das Suchtverhalten einen wichtigen biochemischen Regelkreis bildet, hat auch eine wesentliche Steuerfunktion in der Schmerzverarbeitung. „Wir gingen davon aus, dass es in der Arbeitsweise des Opioidsystems individuelle Unterschiede geben könnte, die für ein Suchtverhalten geneigter oder weniger geneigt machen – schon lange bevor jemand das erste Mal zu Drogen greift. Genau das hat sich nun bestätigt“, erklärt der Experte, der zu den weltweit führenden Grundlagenforscher auf dem Gebiet des psychiatrischen Neuro-Imaging gehört. Im gesunden Menschen bildet das Opioidsystem einen hochkomplexen Mechanismus, der das Verhalten durch Stimmungen steuert. Die Opioidrezeptoren sind wesentlich dafür verantwortlich, ob sich ein Mensch wohl oder unwohl fühlt. „Sind wir Stress, wie etwa Schmerz ausgesetzt, bleiben diese unbesetzt, erzeugen Frustrationsgefühle und bringen uns dazu, nach Abhilfe zu suchen. Wenn der Stress aufhört zu wirken, werden körpereigene Morphine – zum Beispiel Endorphine – freigesetzt, die das Schmerzempfinden beseitigen und unsere Stimmung heben.“

Die Besetzung der Opioidrezeptoren spielt eine wesentliche Rolle. Darauf beruht die Wirkung von schmerzstillenden Mitteln und von Drogen. „Es zeigt sich, dass der Basisspiegel der Opioidrezeptoren von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist“, so Zubieta. Das führe zu einer sehr unterschiedlichen Anfälligkeit für Süchte. Der Forscher konnte zeigen, dass Menschen mit einem hohen Basisspiegel von Opioidrezeptoren in ihrem Verhalten impulsiver sind. „Wer impulsiv ist, neigt eher zu spontanen Handlungen, ohne an deren Konsequenzen zu denken“, erklärt Zubieta. „Weil diese Impulsivität mit einer höheren Empfindungsfähigkeit etwa für Schmerz einhergeht, gibt es einen zusätzlichen Anreiz, im Fall einer Krise oder auch nur einer verführerischen Gelegenheit Drogen zu nehmen.“

Mehr Rezeptoren bedeuten aber auch, dass das Neurotransmittersystem aktiver ist, sodass die Gefühle von Entspannung und Wohlbefinden, die eine Droge vermittelt, stärker sind als bei Menschen mit weniger Rezeptoren. „Das bildet schon psychologisch einen verstärkten Anreiz, die Droge ein weiteres Mal einzunehmen.“ Die erhöhte Anzahl von Rezeptoren trage dazu auch physiologisch bei, indem sie nach dem Abklingen der Wirkung ein stärkeres Gefühl von Verlust, Frustration und Schmerz und damit ein verstärktes Verlangen nach der Droge bewirke. Diesem wiederum kann ein impulsiver Mensch weniger widerstehen. Zudem regen viele Drogen den Organismus zur Bildung von Dopamin an. „Dopamin ist aber einer jener Faktoren, die wiederum die Bildung von Opioid-Rezeptoren anregen. Die Droge sorgt also dafür, dass der Körper sie so intensiv wie möglich aufnehmen kann, dass die psychotrope Wirkung zunimmt und dass das Gefühl des Verlusts nach deren Abklingen als umso größer empfunden wird.“

Zubieta hat festgestellt, dass Frauen im Hinblick auf diese Mechanismen aus mehreren Gründen verletzlicher als Männer sind: Erstens sind sie insgesamt schmerzempfindlicher und daher anfälliger gegen Stress. Der Grund dürfte darin liegen, dass der Opioid-Rezeptor-Spiegel durch die Hormone Östrogen und Progesteron mitgesteuert wird. So haben die Forscher festgestellt, dass Frauen, wenn einmal abhängig geworden sind, deutlich schwerer von den Substanzen wieder wegkommen. „Die Einsichten bedeuten aber auch, dass Frauen von opioidhaltigen schmerzstillenden Medikamenten höhere Dosen brauchen als Männer, um Schmerzfreiheit zu erreichen.“

„Neurobiologische Vorgänge spielen tatsächlich eine große Rolle beim Suchtverhalten“, meint die Sucht-Expertin Susanne Lentner, stellvertretende ärztliche Leiterin des Anton-Proksch-Instituts Kalksburg http://www.api.or.at , gegenüber pressetext. Bisher wisse man viel zu wenig über diese Vorgänge, die erst nach und nach erforscht werden. Die Wissenschaftlerin betont allerdings, dass die psychosozialen und psychodynamischen Vorgänge im Suchtverhalten eine ebenso wesentliche Bedeutung hätten. „Diese dürfen unter keinen Umständen weg gestrichen werden, auch wenn die Neurobiologie eine faszinierende Zukunft hat“, so Lentner abschließend gegenüber pressetext.

Media Contact

Wolfgang Weitlaner pressetext.austria

Weitere Informationen:

http://www.eaat.org

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