Gefährliche Liebschaften

Ein Beispiel von Hybrid-Nekrose bei der Ackerschmalwand. Rechts und links die gesunden Eltern, in der Mitte ein erkrankter Hybriden. Bild: Kirsten Bomblies

Pflanzengenetiker kennen das Problem ebenso wie Tierzüchter: Einzelne Individuen oder ganze Würfe sterben früh oder wollen als „Kümmerlinge“ nicht recht gedeihen. Was Züchter ärgert, fasziniert Genetiker und Molekularbiologen – sind diese Exemplare doch ein Beispiel dafür, dass sich Erbgut nicht beliebig kombinieren lässt. Offenbar existieren Barrieren, die den Austausch von genetischem Material nicht nur zwischen etablierten Arten, sondern auch zwischen Sorten ein und derselben Art einschränken. Wie es zu diesen Hindernissen kommt, ist für das Verständnis des Artenreichtums äußerst wichtig, aber war bislang weitgehend unbekannt. Zusammen mit Kollegen aus Tübingen und den USA hat Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie jetzt nachweisen können, dass Störungen im pflanzlichen Immunsystem zu Fortpflanzungsproblemen führen, die wiederum einen ersten Schritt zur Artenbildung darstellen. Das internationale Team untersuchte eine genetische Unverträglichkeit namens Hybrid-Nekrose bei der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana.

Auslöser für die Arbeit, deren Ergebnisse die Tübinger Biologen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „PLoS Biology“ vorstellen, war die Beobachtung, dass „kümmernde“ Hybride in verschiedenen Pflanzenarten sich stets ähneln: Sie bleiben im Wachstum zurück, die Blätter vergilben, Gewebedefekte entstehen, und oft bleibt die Blüte aus. „Der Verdacht lag nahe, dass dem Phänomen der Hybrid-Nekrose immer derselbe biochemische Mechanismus zugrunde liegt“, erklärt Weigel, Direktor am MPI für Entwicklungsbiologie.

Um diese Annahme zu überprüfen, untersuchten die Max-Planck-Forscher insgesamt 280 Arabidopsis-Stämme von unterschiedlichen Standorten, die sie in 861 verschiedenen Kombinationen miteinander kreuzten. Die meisten der so gewonnenen Hybrid-Pflanzen wuchsen normal und kräftig, aber immerhin 20 – also knapp zwei Prozent – der Kreuzungen brachten „Kümmerlinge“ hervor. Wie aufwändige genetische Analysen ergaben, wiesen all diese Hybride ein sehr ähnliches Muster auf: Etwa 1000 Gene waren bei allen deutlich stärker oder schwächer aktiviert als bei den gesunden Elternpflanzen. Das Genprofil der Hybride war darüber hinaus charakteristisch für eine starke Aktivierung der Immunabwehr. Normalerweise greift das pflanzliche Immunsystem nur infizierte Zellen an und vernichtet sie. Bei den kümmernden Hybriden dagegen richtete es sich offenbar auch gegen gesundes Gewebe – unabhängig davon, ob es Krankheiserreger gab. Offensichtlich verwechselten die Hybridpflanzen also den eigenen Körper mit gefährlichen Keimen.

Schädliche Wechselwirkungen zwischen normalen Genen

Die genetische Ursache für diese Autoimmunreaktion war zwar von Kreuzung zu Kreuzung unterschiedlich, lag aber oft in nur zwei Genen, die sich nicht vertrugen. Dabei kamen jeweils eines der fatalen Gene von dem Vater und das andere von der Mutter. In einem Fall, den die Wissenschaftler detailliert untersuchten, war eines dieser Gene, das die Hybride, aber nicht die Eltern krank macht, ein Pathogendetektor. Wie die Forscher betonen, werden die Hybride jedoch nicht Opfer von fehlerhaften Genen: Anders als bei manchen Erbkrankheiten treffen bei ihnen nicht zwei defekte Varianten ein und desselben Gens aufeinander. Vielmehr kommt es zu schädlichen Wechselwirkungen zwischen Genen, die sich in den beiden Elternstämmen unterschiedlich entwickelt haben. Jedes Gen für sich ist dabei harmlos, die Eltern völlig gesund. Erst die Kombination beider Erbanlagen führt zu Problemen. Nach ihren Entdeckern wird diese Art der genetischen Unverträglichkeit Dobzhansky-Muller-Inkompatibilität genannt.

Weigels Arbeit stellt den klassischen Artbegriff infrage, wonach die Individuen einer Art sich untereinander beliebig paaren und fruchtbare Nachkommen zeugen können, nicht aber mit Individuen anderer Arten. Offenbar unterliegt der Austausch von Genen auch innerhalb einer Art erheblichen Beschränkungen – immerhin war bei der Tübinger Studie rund jede fünfzigste Kreuzung nicht von Erfolg gekrönt. „Die Artaufspaltung muss als gradueller Prozess verstanden werden, bei dem sich genetische Barrieren innerhalb einer Art so weit verstärken, bis letztlich keine Kreuzungen zwischen zwei Gruppen von Individuen mehr möglich sind“, meint Weigel.

Wenn Pflanzen sich bei der Schädlingsabwehr irren

Während diese Sicht sich bereits durchgesetzt hat, ist bis heute weitgehend unklar, warum solche genetischen Barrieren überhaupt entstehen. Welchen Vorteil hat die Pflanze, wenn unter Umständen die gesamte Nachkommenschaft aus einer Kreuzung verloren geht? Die aktuelle Studie liefert nun eine mögliche Erklärung: Das Pflanzengenom verändert sich unter dem Druck, sich gegen Schädlinge zur Wehr setzen zu müssen. „Pflanze und Schädlinge befinden sich in einer Art Rüstungswettlauf“, erläutert Jeff Dangl, Professor at der Universität von North Carolina und einer der Koautoren. Die Krankheitserreger entwickeln fortwährend neue Strategien, um der Immunabwehr der Pflanze zu entgehen. Im Gegenzug versucht die Pflanze, sich auf eine Vielzahl möglicher neuer „Waffen“ vorzubereiten. Derart hochgerüstet kann es vorkommen, dass sie auch harmlose Eiweißvarianten eines entfernten Verwandten als gefährlich einstuft und attackiert.

Die Forscher sind zuversichtlich, dass sich die bei Arabidopsis gewonnenen Erkenntnisse auf andere Pflanzenarten übertragen lassen. Einige gemeinsame Merkmale deuten darauf hin, dass die Hybrid-Nekrose bei Nutzpflanzen wie dem Weizen auf denselben Mechanismus zurückgeht wie bei der Ackerschmalwand. Dangl glaubt daher, dass Arabidopsis als Modell für die weitere Erforschung der Hybrid-Nekrose dienen kann. „Ein solches Modell wäre von großem Wert für die Nutzpflanzenzucht. Hier steht die genetische Unverträglichkeit manchen neuen Kreuzungen im Wege“, sagt der Experte für Pflanzenpathogene. Die Beobachtung, dass nur wenige Gene an der Entstehung der Hybrid-Nekrose beteiligt sind, macht den Forschern zusätzlich Mut. Offenbar sind nur kleine genetische Änderungen nötig, um Kreuzungsbarrieren zu umgehen und die gewünschte Neukombination von Merkmalen zu erreichen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass geringfügige Modifikationen im Erbgut den Austausch von Genen zwischen verwandten Individuen stark behindern können und dass es womöglich keiner massiven Neuerungen bedarf, um neue Arten zu bilden.

An der Studie beteiligte Forscher und Institute: Detlef Weigel, Kirsten Bomblies, Janne Lempe, Norman Warthmann und Christa Lanz vom MPI für Entwicklungsbiologie, Tübingen; Petra Epple und Jeffery L. Dangl von der University of North Carolina in Chapel Hill, North Carolina, USA.

Originalveröffentlichung:

Detlef Weigel, Kirsten Bomblies, Janne Lempe, Norman Warthmann, Christa Lanz, Petra Epple, Jeffery L. Dangl

Autoimmune response as a mechanism for a Dobzhansky-Muller-type incompatibility syndrome in plants. PLoS Biology 5, e236 (4. September 2007)

Media Contact

Dr. Bernd Wirsing Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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