Aufklärung durch Fruchtfliege

Leipziger Wissenschaftler erhärten durch ihre Forschungen die These, dass neben der Auslese auch die Genfusion ein wichtiger Motor für die Evolution allen Lebens darstellt. Wegweisend hierfür waren Untersuchungen an der Fruchtfliege Drosophila.

Die Genforschung hat in der Vergangenheit auf einigen Gebieten, denken wir z.B. an genveränderte Lebensmittel, zu kontroversen Diskussionen geführt, sorgte aber auch für positive Schlagzeilen. Ohne sie wäre heute eine ausreichende Produktion von Arzneimitteln, die mit Hilfe der Gentechnik hergestellt werden, nicht mehr denkbar. Gegenstand der derzeitigen Gentechnik ist neben der Entschlüsselung der Erbsubstanz die Analyse der Funktion der Genprodukte, das heißt der Eiweiße (Proteine), die durch die Gene verschlüsselt sind. Anhand von Vergleichen dieser Eiweiße zwischen Arten der gleichen oder anderer Verwandtschaftskreise können zum Beispiel Aussagen über evolutionäre Entwicklungen getroffen werden. Als Untersuchungsobjekt dient dabei häufig das klassische Versuchstier der Genetik, die Fruchtfliege Drosophila melanogaster. Dieses Insekt wird aufgrund der relativ einfachen Strukturierung der Erbsubstanz und der dabei verhältnismäßig hohen Komplexität des Organismus genutzt. Unter Vorbehalt können sogar Parallelen zum Menschen gezogen werden, wie im Fall von Nervenerkrankungen, bei denen die Fliegen vergleichbare Symptome wie erkrankte Menschen aufzeigen.

Am Leipziger Institut für Genetik (Leitung: Professor Dr. Heinz Sass) forscht die Arbeitsgruppe von Dr. Veiko Krauß speziell über Genstrukturen, unter anderem über die Funktion von Chromatingenen, das sind Gene, die den Bauplan für Eiweiße enthalten, welche an Chromosomen binden. Die so entstehenden Chromatinstrukturproteine sind an der Verpackung der DNA und an deren Regulation beteiligt. Chromatin weist je nach dem Chromosomenbereich, in dem sie vorkommen, verschiedene strukturelle Organisationen sowie unterschiedliche assoziierende Proteine auf. Durch Verlagerungen von Chromosomenabschnitten kann sich die Aktivität der betroffenen Gene verändern. So ist oft aufgrund der Umlagerung bestimmter Genabschnitte eine Inaktivierung dieser Gene zu beobachten. Der Effekt kann in verschiedenen Zellen variieren, was sich in der Ausprägung der Gene niederschlägt. Dadurch greifen sie unmittelbar in die Genregulation ein.
Ein Gen, das nur bei Drosophila vorkommt, ist Su(var)3-9. Es ist für die Genstilllegung verantwortlich. Dadurch kommt es zu Abweichungen in der Genausschüttung mit der Folge, dass sich die Gewebeentwicklung im Verlauf der Evolution eines Individuums verändert. Die Leipziger Wissenschaftler haben anhand der Genstruktur herausgefunden, dass dieses spezielle Gen mit einem zweiten Gen, dem eIF2gamma, fusioniert ist; beide kommen bei den übrigen holometabolen Insekten (das sind alle Insekten, die ein Verpuppungsstadium durchlaufen) getrennt vor. Diese bisher einmalig zu beobachtende Fusion ist nach den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe bereits vor 300 Millionen Jahren erfolgt.

Das Vorliegen des verschmolzenen Gens aus zwei funktionell und strukturell ganz unterschiedlichen Genen kann nun über sehr differenzierte Analyseverfahren (Intron-Extron-Srukturanalyse) zur Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der Fruchtfliege und des Stammes der Arthropoden (Gliederfüßer) genutzt werden. Die Arbeitsgruppe erhofft sich davon neue Erkenntnisse zur Systematik dieser Tiergruppe. Eine Hypothese können die Forscher bereits heute aufstellen, die trotz kontroverser Diskussionen in Fachkreisen als relativ wahrscheinlich gilt: Krebse sind die Vorläufer aller Insekten. Gleichzeitig konnte die These untermauert werden, dass nicht wie bisher angenommen allein die Auslese (Selektion) von überragenden Eigenschaften Motor bei der Evolution allen Lebens auf unserem Planeten war, sondern dass ebenso komplexe biologische Phänomene durch nichtselektive Bedingungen, d.h. auch durch Genfusionen, sich herausgebildet haben können.

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Volker Schulte idw

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