Mehr Lungenkrebs und Herzkreislauferkrankungen unter strahlenbelasteten Arbeitern im Südural

In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat die Plutoniumproduktion für sowjetrussische Atomwaffen in Ozyorsk, einer immer noch geschlossenen Stadt im Südural, zu erhöhten Strahlenexpositionen sowohl der Arbeiter, als auch – durch flüssige radioaktive Ableitungen – der Anwohner des Flusses Tetscha geführt. Im niederbayerischen Bad Griesbach trafen sich vom 13.-16. August Wissenschaftler aus elf Nationen, um über die möglichen gesundheitlichen Folgen dieser Strahlenexposition zu diskutieren.

Das vom GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit koordinierte Forschungsvorhaben SOUL legte dazu erste Ergebnisse vor: Bei den im Zeitraum von 1949 bis 1953 beschäftigten Arbeitern, die höheren Strahlenexpositionen ausgesetzt waren, stellten die Wissenschaftler eine erhöhte Erkrankungsrate der Hirn- und Herzkranzgefäße fest. Frühere Studien hatte schon eine Erhöhung der Krebsrate, insbesondere der Lungenkrebsrate ergeben. Eine wesentliche Frage für die Fortführung der Studie wird nun sein, ob die Effekte auch schon bei geringeren Strahlendosen, wie sie heute unter beruflich strahlenexponierten Personen zu finden sind, auftreten.

Dr. Peter Jacob vom Institut für Strahlenschutz des GSF – Forschungszentrums und Koordinator des von der Europäischen Union mit 6,8 Millionen Euro unterstützten Projektes Southern Urals Radiation Risk Research SOUL betont das hohe internationale Interesse an den untersuchten Gesundheitseffekten: „Unsere Daten aus dem Südural haben im Vergleich zu denen aus Hiroshima und Nagasaki, welche ja bisher die Hauptinformationsquelle zu gesundheitlichen Gefährdungen durch Strahlenexpositionen bildeten, zwei wesentliche Eigenschaften: Erstens beziehen sie sich auf Strahlenexpositionen, die über einen längeren Zeitraum aufgetreten sind.

Dies ermöglicht den Vergleich mit Strahlenexpositionen, wie sie in unseren Ländern durch die friedliche Nutzung von Radioaktivität und Strahlung entstehen und in der Regel auch über einen längeren Zeitraum akkumulieren. Zweitens sind die meisten Bewohner des Südurals Kaukasier, wie auch der Großteil der Bevölkerung der Europäischen Union und Nordamerikas. Diese gemeinsame genetische Grundlage erlaubt ebenfalls direktere Vergleiche als dies bislang mit den japanischen Daten möglich war.

In der untersuchten Kohorte von Arbeitern, die an ihrem Arbeitsplatz mit Plutonium exponiert waren, stellten die Wissenschaftler vermehrt Lungenkrebsfälle fest. Die Rekonstruktion der Lungendosen basiert auf Messungen des Plutoniumgehaltes im Urin der Arbeiter sowie auf 1946 Autopsien, bei denen der Plutoniumgehalt in den verschiedenen Organen der Arbeiter bestimmt wurde.

Die Autopsien hatten ergeben, dass ein größerer Anteil des Plutoniums in der Lunge verbleibt, als dies bisher angenommen wurde. Die retrospektive Bestimmung der Plutoniumdosen ist aufwändig, und bisher liegen nur vorläufige Ergebnisse vor. Basierend auf diesen vorläufigen Dosiswerten ergibt sich, dass Plutonium bei gleicher Dosis 10- bis 20mal so viele Lungenkrebsfälle erzeugt wie externe Strahlung.

Im Rahmen von SOUL wurde auch der mögliche Einfluss der Strahlenexposition auf Herzkreislauferkrankungen untersucht. „Erste Ergebnisse zeigen“, so Peter Jacob vom GSF – Forschungszentrum, „dass Erkrankungen der Hirn- und Herzkranzgefäße vermehrt unter den Arbeitern auftreten, die in den ersten Betriebsjahren der Produktionsgenossenschaft Mayak besonders hohen Strahlenexpositionen ausgesetzt waren.“ Eine wesentliche Frage, der sich nun die Fortführung der Studie widmet, ist, ob auch schon bei geringeren Strahlendosen, wie sie heute unter beruflich strahlenexponierten Personen zu finden sind, eine erhöhte Rate von Herzkreislauferkrankungen auftritt.

Betroffen sind aber auch die Anwohner des belasteten Tetschaflusses in der Umgebung der Produktionsgenossenschaft. So widmete sich ein weiterer Schwerpunkt auf dem Workshop in Bad Griesbach Fragen zur retrospektiven Bestimmung der Strahlenexposition der Anwohner. Hierzu führt die GSF elektronenparamagnetische Resonanzmessungen im Zahnschmelz exponierter Personen sowie Lumineszenzmessungen in Ziegelsteinen exponierter Gebäude durch. Die Auswertung dieser Daten sowie neu gefundener Archivdaten zeigt für die Anwohner Krebsrisiken auf, deren Größe – entgegen anderer Erwartungen – nicht geringer als die der Atombombenüberlebenden sind.

Am Ende des internationalen Workshops stimmten die Teilnehmer darin überein, dass die Ergebnisse der Strahlenrisikostudien im Südural einen wichtigen Beitrag zum sicheren Umgang mit Strahlung auch in unserer Gesellschaft leisten werden.

GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit
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Michael van den Heuvel idw

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