"Wurst" sorgt dafür, dass die Atmung funktioniert

Das berichten Wissenschaftler der Universität Bonn und des Göttinger Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in der Online-Ausgabe der Zeitschrift „Nature Cell Biology“. In der Taufliege Drosophila sorgt das Protein für die korrekte Ausbildung und Funktion des Atmungssystems der Fliegen. Bei Säugern könnte es eine Schlüsselrolle bei der Lungenreifung übernehmen. Vielleicht ist das Eiweiß damit auch ein Ansatzpunkt für neue Medikamente, mit denen sich etwa die Lungenfunktion von Frühgeborenen verbessern ließe.

Insekten haben keine Lungen. Stattdessen erfolgt der Gasaustausch bei ihnen über kleine Löcher im Chitinpanzer. Über ein ausgedehntes Röhrensystem wird der Sauerstoff zu den Zellen geleitet. Diese so genannten Tracheen verzweigen sich dabei immer weiter. In den hauchdünnen Endstücken schließlich tritt das Atemgas in das Gewebe über.

„Das Tracheensystem der Insekten weist viele Ähnlichkeiten zu unserer Lunge auf“, erklärt der Bonner Entwicklungsbiologe Professor Dr. Michael Hoch. „Auch unsere Lunge besteht aus einem System von Röhren, die sich baumartig immer weiter verzweigen und schließlich in den Lungenbläschen münden. Dort gelangt der eingeatmete Sauerstoff ins Blut.“ In der Entwicklung beider Atmungssysteme gibt es ebenfalls Analogien. So sorgen eine Reihe sehr ähnlicher Wachstumsfaktoren dafür, dass sich die Röhren passend verzweigen und dabei den richtigen Durchmesser bekommen.

Gemeinsam ist Tracheen- und Lungenatmern auch, dass die Röhren während ihrer Entwicklung zunächst mit Flüssigkeit gefüllt sind. Bei der Geburt von Kindern bzw. beim Schlüpfen von Fliegen-Larven müssen die Gasleitungen dann trocken gelegt werden. Erst danach können die Atemgase die Luftröhren füllen und das Überleben sichern. Und gerade bei diesem Schritt scheint das neu entdeckte Zelleiweiß eine wichtige Rolle zu spielen. „Fliegen, bei denen die Erbinformation für das Protein defekt ist, sind nicht überlebensfähig“, betont Hoch. „Bei ihnen bleiben die Tracheen mit Flüssigkeit gefüllt. Zudem sind die Röhren wurstartig vergrößert – daher haben wir das Eiweiß auch 'Wurst' genannt.“ Unter Genetikern ist es üblich, dass die Entdecker neue Gene oder Proteine offiziell benennen. „Wir richten uns dabei jeweils nach der Wirkung, die das Molekül entfaltet, wenn es nicht funktioniert.“

Zusammen mit seinen Mitarbeitern Dr. Matthias Behr und Christian Wingen sowie den Göttinger Max-Planck-Forschern Dr. Reinhard Schuh und Christian Wolf hat Hoch genauer untersucht, was das Protein macht. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass das Eiweiß eine Schlüsselfunktion bei der so genannten Endocytose spielt – das ist der Mechanismus, mit dem Zellen Substanzen aus ihrer Umgebung aufnehmen. So können Zellen durch gezielte Aufnahme von Salzen ihrem Umfeld per Diffusion Wasser entziehen. Auf diese Weise scheinen zum Beispiel die Tracheen trocken gelegt zu werden. Ist das „Wurst“-Protein defekt, klappt das Ganze dagegen nicht: Flüssigkeit sammelt sich in den Luftröhren an; die Tiere sterben, da kein Gasaustausch stattfinden kann.

Hilfe fürs Frühchen?

Interessanterweise verfügen Mäuse, Schimpansen oder auch der Mensch ebenfalls über ein einzelnes „Wurst“-Gen. „Wir vermuten, dass dieses Protein in Säugern bei der Lungenreifung und Flüssigkeitsresorption eine Rolle spielt“, sagt Hoch. „Erste experimentelle Befunde unterstützen dies.“ Die Forscher wollen nun untersuchen, was passiert, wenn man dieses Gen in Labormäusen ausschaltet.

Haben sie Recht, könnte ihre Entdeckung die Erforschung von Atemwegserkrankungen bedeutend voran bringen. So leiden Frühgeborene häufig unter einer Minderfunktion der Lungen. Ursache ist oft, dass der Körper die Flüssigkeit aus dem Bronchialsystem noch nicht ausreichend resorbieren kann – das Kind ertrinkt gewissermaßen von innen. Mediziner nennen dieses Krankheitsbild „Respiratory distress syndrome“ (RDS). In den USA kommen jährlich 25.000 Babys mit RDS zur Welt. Für viele von ihnen endet die Erkrankung tödlich.

Taufliege hilft bei der Wirkstoffsuche

Die Forscher suchen nun nach Wirkstoffen, die die Funktion des „Wurst“-Proteins in der Taufliege verbessern. „Wir wollen zusammen mit meinem Kollegen Professor Dr. Michael Famulok aus dem Bonner LIMES-Institut maschinell mehrere zehntausend Substanzen durchmustern und schauen, ob sie die Flüssigkeitsaufnahme aus den Luftröhren der Fruchtfliege fördern“, erläutert Professor Hoch. „Aussichtsreiche Kandidaten testen wir dann an Mäusen, die unter RDS leiden, sowie an menschlichen Lungen-Zellkulturen.“

Die Forscher möchten auch die so genannte Höhenkrankheit ins Visier nehmen. Bei den Betroffenen kann sich in großen Höhen Wasser in Lunge und Gehirn ansammeln. Auffällig ist, wie unterschiedlich Menschen auf Höhe reagieren: Ein gut trainierter Triathlet fühlt sich vielleicht schon jenseits der 2.500-Meter-Marke unwohl, während ein Schreibtischtäter noch in 4.000 Metern ohne große Mühe durchatmet. „Wir denken, dass das 'Wurst'-Protein die Flüssigkeitsaufnahme aus der Lunge beeinflusst“, spekuliert Michael Hoch. „Wenn das stimmt, könnte es auch Mutationen geben, die anfälliger für Atemwegserkrankungen und Höhenkrankheit machen.“

Kontakt:
Professor Dr. Michael Hoch
LIMES-Zentrum der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-4621
E-Mail: m.hoch@uni-bonn.de
URL dieser Pressemitteilung: http://idw-online.de/pages/de/news213216

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Frank Luerweg idw

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