Nanoporöse Kapseln: "Sesam öffne und schließe dich!" und Metallspeicher in der Natur

Hochinteressantes ist einmal mehr aus der Arbeitsgruppe des renommierten Bielefelder Chemikers Prof. Dr. Achim Müller zu vermelden: Es gibt neue Erkenntnisse zu den kugelförmigen Riesenmolekülen, über die Achim Müller mit seiner Arbeitsgruppe erstmalig vor einigen Jahren berichtet hat, und zur Metallspeicher-Fähigkeit lebender Organismen. Über beide Forschungsresultate referierte Prof. Müller letzte Woche auf einer Tagung („International Nanoscience Symposium“) in Hamburg. Bereits im März hatte er die Ehre, auf einer Konferenz europäischer Spitzenforscher in Autrans (Frankreich) die eröffnende „Honorary Lecture“ zu halten, und gerade kam die Nachricht, dass Müller für 2008 von der Französischen Chemischen Gesellschaft zur Jean Perrin-Gastprofessur nach Paris eingeladen wurde – zu den bisherigen Laureaten gehören auch der Wolf-Preisträger J. Jortner und der Nobel-Preisträger A. Zewail.

Nanoporöse Kapseln

Die „Bielefelder“ Riesenmoleküle haben aufgrund ihrer schönen Form, aber vor allem wegen ihres potentiellen Anwendungsspektrums weltweit großes Interesse geweckt. Die kugelförmigen Gebilde sind aus fünfeckigen Molybdänoxid-Einheiten aufgebaut, die durch verschiedene Metallkatio-nen (Eisenionen im vorliegenden Fall) zusammengehalten werden. Im Gegensatz zu anderen bekannten Nanokugeln weisen die Bielefelder Gebilde eine wohldefinierte innere und äußere Oberfläche sowie Poren auf. Darüber hinaus können sie mit bestimmten Substraten – etwa biologischen Zellen vergleichbar – spezifisch in Wechselwirkung treten.

Jetzt hat die Bielefelder Arbeitsgruppe mit Wissenschaftlern aus Stuttgart und Ulm sowie des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung Potsdam in Zusammenarbeit mit Forschern der Lehigh Universität, USA, eine Methode entwickelt, die es erlaubt, die extrem winzigen Hohlräume dieser Kapseln leicht zugänglich zu machen. Achim Müller, Tianbo Liu und ihre Kollegen haben nämlich herausgefunden, dass sich die Kapseln kurzfristig sehr weit öffnen lassen, wenn man die Eisenionen, die die fünfeckigen Baueinheiten verbinden, durch andere Metallionen ersetzt. Das Öffnen bewirkt automatisch das Eindringen kleinerer molekularer Teilchen (Molybdate und Lanthanidionen) in den inneren Hohlraum derart, dass sich später das schützende kugelförmige Skelett zurückbildet. „Es wäre nun wichtig herauszufinden, ob mit dieser Methode auch andere interessante Spezies/Teilchen eingekapselt werden können“, erklärt Müller und fügt hinzu, dass mit analogen größeren Kapseln mit größeren Poren („Bielefelder Nanokugeln“, inzwischen auch in der Literatur als „Keplerate“ gehandelt) sogar der Transport von biologisch-medizinisch relevanten Kationen – zum Beispiel Kalzium-, Kalium- oder Lithiumionen, letztere bei der Behandlung Manisch-Depressiver von Bedeutung – durch Zellmembranen modelliert werden kann. Es ist anzunehmen, dass durch die Integration von fluoreszenzaktiven Lanthanidionen auch interessante Anwendungen im Bereich der Biosensorik (bis zum Nachweis einzelner Atome) möglich sind. Die Veröffentlichung dieser Forschungsergebnisse ist in einer Top-Zeitschrift auf dem Gebiet der Nanowissenschaften erschienen (nämlich: Small. 2007, 3, 986-992). Nicht ohne Stolz weist Müller auch darauf hin, dass in der neuesten Auflage des Holleman-Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie (Standard-Werk für Studierende seit 100 Jahren) der Begriff „Bielefelder Rad“ auftaucht.

Metallspeicher in der Natur

Die Bielefelder Arbeitsgruppe hat kürzlich außerdem gemeinsam mit einer Gruppe aus dem Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt (Privatdozent Dr. Ulrich Ermler) über ein anderes aufsehenerregendes Forschungsergebnis berichtet (Angewandte Chemie. Int. Ed. 2007, 46, 2408-2413), das von der englischen Royal Society of Chemistry gewürdigt wurde (http://www.rsc.org/chemistryworld/News/2007/March/06030702.asp). Hier geht es um Metall-speicherproteine, die im biologischen Geschehen von großer Bedeutung sind, da sie für den Fall, dass lebensnotwendige Metallionen nicht ausreichend in der Nahrung vorhanden sind, diese zur Verfügung stellen können. Der Mensch verfügt zum Beispiel über ein Speicherprotein für das lebensnotwendige Eisen, das sogenannte Ferritin, das circa 4000 Metallatome aufnehmen kann. Im vorliegenden Fall geht es allerdings um das Metallspeicherprotein von Mikroorganismen, die eine zentrale Rolle bei der für das Leben auf der Erde wichtigen Stickstoff-Fixierung spielen.

Die entscheidende Frage für die Forscher um A. Müller und K. Schneider war, wie die Natur es „schafft“, metallhaltige Ionen entsprechend einer Speicherfunktion spezifisch zu integrieren. Hierzu konnten nun grundlegende Informationen gewonnen werden. Es gelang, die Strukturen der Metallkomplexe, die im Molybdänspeicherprotein des Stickstoff-fixierenden Bakteriums Azotobacter vinelandii vorkommen, zu bestimmen. Interessanterweise entsprechen nun die gefundenen Bau-elemente denen der in Bielefeld entdeckten „künstlichen“ Molybdänoxid-Riesencluster („Bielefelder Rad“, verschiedene „Bielefelder Nanokugeln“ und „Nanoigel“). Das Protein kann etwa 100 Molybdän- beziehungsweise Wolframatome binden und dient damit als Reservoir für verschiedene entsprechende Metallenzyme wie zum Beispiel für die Stickstoff-fixierende Nitrogenase. Die Wis-senschaftler entdeckten auch, dass der Austausch der Molybdänoxid-Cluster gegen Wolframoxid-Cluster im Hohlraum des Proteins die Stabilität erhöht. Es wurde darüber hinaus auch vorgeschlagen, das Speicherprotein gewissermaßen als Nano-Reagenzglas für interessante Reaktionen zu verwenden.

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