Warum Kefir nicht gleich Joghurt ist

Was haben ein gesunder Darm, Crème fraíche und entzündete Gaumenmandeln gemeinsam? Milchsäurebakterien. Doch die Gemeinsamkeit trügt. Den Unterschieden verschiedener Stämme von Milchsäurebakterien gehen jetzt Wissenschaftler des Heidelberger Forschungsinstituts EML Research mit dem neuartigen Konzept „Vergleichende Systembiologie“ auf den Grund. Für die nächsten drei Jahre erhalten sie dafür zusammen mit anderen Forschungsgruppen eine umfangreiche Förderung als eines von elf Projekten der SysMO-Initiative. SysMO steht für „Systembiologie an Mikroorganismen“ und mit 91 Forschungsgruppen aus sechs europäischen Ländern für eine bislang einzigartige transnationale Förderinitiative. Die Fördersumme von insgesamt 28 Millionen Euro wird von nationalen Fördereinrichtungen gemeinsam aufgebracht.

Die Gruppenleiterinnen Dr. Isabel Rojas und Dr. Rebecca Wade sowie Dr. Ursula Kummer, die vor kurzem von EML Research auf eine ordentliche Professur an die Universität Heidelberg gewechselt ist, sind hocherfreut: „Es ist ein gutes Gefühl, dass unsere Leistungen der letzten Jahre überzeugen, auch international, und unser SYCAMORE bereits heute Früchte trägt“. SYCAMORE ist eine nutzerfreundliche Softwarelösung für vielfältige Anwendungen in der Systembiologie, die an der EML Research entwickelt wird. Im SysMO-Projekt „Comparative Systems Biology: Lactic Acid Bacteria“ untersuchen die Heidelberger Wissenschaftler mit SYCAMORE jetzt Milchsäurebakterien näher. Sie arbeiten dabei im Verbund mit Forschern aus Deutschland, Großbritannien, Norwegen und den Niederlanden. Durch die Berufung von Ursula Kummer an die Universität Heidelberg wird ein Teil des geförderten Projektes dort durchgeführt.

Milchsäurebakterien verdanken ihren Namen der Fähigkeit, Zucker in Milchsäure zu verwandeln (Milchsäuregärung). Sie finden sich in Milch und werden seit Jahrtausenden zur Herstellung und Konservierung von Milchprodukten, zum Beispiel Joghurt oder Kefir, eingesetzt. Zudem sind Milchsäurebakterien die wichtigsten Vertreter im menschlichen Darm und wirken dort krankheitserregenden Keimen, wie Pilzen, entgegen. Einige Stämme können jedoch auch selbst Krankheiten auslösen, zum Beispiel Streptococcus pneumoniae die Lungenentzündung oder Streptococcus pyogenes Scharlach und Mandelentzündungen. Die Vielfalt der Stämme ist beeindruckend, ihre Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Lebensräume ebenso.

So wie Verkehrssimulationen potentielle Staugefahren vorhersagen, so versuchen die Systembiologen in Heidelberg Aussagen darüber zu treffen, warum zum Beispiel bestimmte Milchsäurebakterien Krankheiten auslösen, andere aber nicht. Mithilfe von Computersimulationen erfassen sie komplexe biochemische Zusammenhänge und kombinieren Naturbeobachtungen mit theoretischen Modellen. Dabei sollen die Unterschiede im Stoffwechsel einzelner Bakterienstämme herausgearbeitet werden, die für Anpassungen, zum Beispiel an extreme Temperaturen oder Umgebungen mit hohem Säuregehalt, verantwortlich sind. „Interessant ist, dass die genetische Ausstattung von verschiedenen Stämmen der Milchsäurebakterien in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich ist“, erklärt Ursula Kummer. „Biologen nennen dies stark konserviert. Aber welche Gene letztendlich in Stoffwechselaktivität umgesetzt werden und in welchem Ausmaß dies passiert, kann in Abhängigkeit vom Lebensraum sehr verschieden sein.“ Enterococcus faecales (natürlicher Darmbewohner), Lactococcus lactis (zum Beispiel in Crème fraíche) und Streptococcus pyogenes sind dabei die Bakterienstämme, die im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen werden.

Die Wissenschaftler der EML Research und der Universität Heidelberg erarbeiten im SysMO-Projekt einen erheblichen Teil der methodischen Basis. Die entwickelten Methoden werden auch gleich angewandt und von den anderen Projektpartnern ebenfalls genutzt.

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Dr. Peter Saueressig idw

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