Ein echter Knochenjob – Die Gebeine von Menschen der Frühen Neuzeit lassen auf deren Ernährung und Umwelt schließen

Die Anthropologin hat in ihrer Dissertation am Institut für Humanbiologie und Anthropologie der Freien Universität Berlin überraschend zeigen können, dass sich die Menschen der Frühen Neuzeit nicht schlechter ernährten als im Mittelalter. „Gute Ernährung wurde damals nicht mit der ausgewogenen Kost von heute, sondern in erster Linie mit dem Konsum tierischer Produkte gleichgesetzt – und das Mittelalter galt als Hochzeit des Fleischverzehrs“, sagt Diana Peitel. „In der Frühen Neuzeit kam es aber zu einer Bevölkerungsexplosion, so dass weniger Weideflächen für die Viehhaltung zur Verfügung standen. Deshalb galt bislang als gesichert, dass pflanzliche Kost stark an Bedeutung gewann.“

Für einige zu damaliger Zeit relativ dünn besiedelte Landstriche Brandenburgs und Teile Mecklenburg-Vorpommerns galt dies aber wohl nicht. Denn in diesen Gegenden lebten zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert jene Populationen, deren Knochen Diana Peitel einer chemischen Analyse unterzog, um die Ernährung dieser frühneuzeitlichen Menschen zu rekonstruieren. Bewusst wählte sie sehr unterschiedliche Lebensräume. So stammte eine der Populationen aus der ländlichen Ortschaft Tasdorf, eine weitere aus der Stadt Brandenburg an der Havel und die letzte schließlich aus der Küstenstadt Anklam in Mecklenburg-Vorpommern. „Die Ernährung beeinflusst die genaue chemische Zusammensetzung der Knochen“, erklärt Peitel. „Mit Hilfe dieser Werte kann deshalb im günstigsten Fall auf die Nahrung rückgeschlossen werden, die der Mensch zu sich genommen hat.“

Besonders aussagekräftig sind dabei die Mengenverhältnisse der Elemente Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff. „Sie kommen in tierischen und pflanzlichen Produkten in unterschiedlicher Menge vor“, sagt die Anthropologin. „Werden sie aufgenommen, passen sich die Werte der Knochen an. Über den Vergleich mit den Daten rein pflanzenfressender und ausschließlich fleischfressender Tiere können dann auch menschliche Knochen entsprechend interpretiert werden.“ Dabei zeigte sich, dass bei allen drei Bevölkerungen pflanzliche wie auch tierische Produkte auf dem Speiseplan standen. Die Brandenburger konnten sich aber deutlich mehr Fleisch leisten als etwa die Tasdorfer – ein Hinweis auf die günstigeren Lebensbedingungen der Städter.

Bestätigt wird deren bessere wirtschaftliche Position paradoxerweise auch durch die Schadstoffbelastung der Knochen. Denn auch wenn in keinem Fall Giftstoffe in potentiell gefährlichen Mengen nachgewiesen wurden, gewähren vor allem die Unterschiede in der Belastung wertvolle Einblicke in die jeweiligen Lebensbedingungen. So fanden sich etwa bei den Brandenburgern deutlich höhere Arsenwerte als etwa bei den Tasdorfern. Möglicherweise hatten die Stadtbewohner besseren Zugang zu Medikamenten, die häufig mit dem Gift versetzt waren – oder sie tranken einfach mehr Wein. Der lagerte nämlich in Fässern, die mit Arsen gereinigt wurden. Aber auch bei den Tasdorfern fand sich das Spurenelement in den Knochen und zwar bevorzugt bei Männern. Die könnten beim Kontakt mit Saatgut vergiftet worden sein, weil dieses zum Schutz vor Insekten mit Arsen versetzt wurde. „Die Knochen der Frauen dagegen zeigten höhere Cadmiumwerte“, berichtet Peitel. „Das könnte aus dem Rauch der Herdfeuer stammen, dem Frauen wohl stärker ausgesetzt waren.“

Bei den Tasdorfern Kindern berichten die Knochen von einer Verschlechterung der Lebensumstände im Alter von fünf bis sechs Jahren, als diese wohl zu körperlicher Arbeit herangezogen wurden. In Brandenburg dagegen fand der Eintritt in das Erwachsenenleben wohl erst mit sechs bis zehn Jahren statt. Dann wurden die Kinder in die Lehre gegeben und mussten im Haus des Meisters leben. Das war nicht selten mit schwerer Arbeit, körperlicher Züchtigung und mangelhafter Kost verbunden. Wie schwer diese Krisen waren, lässt sich noch heute an den kindlichen Knochen ablesen. Die Spuren zeigen aber auch, dass die meisten überlebten. Die aus der Frühen Neuzeit bekannte hohe Kindersterblichkeit von bis zu 50 Prozent ist vermutlich also eher auf mangelnde Hygiene zurückzuführen als auf die Ernährung, auch weil die meisten Kinder wohl zumindest in den ersten beiden Lebensjahren gestillt wurden.

Insgesamt war die Versorgungslage aller drei Populationen überraschend gut, obwohl der Dreißigjährige Krieg wütete und Anklam mehrmals von der Pest heimgesucht wurde. Wahrscheinlich trugen aber eben diese Faktoren auch dazu bei, dass die betroffenen Landstriche dünn besiedelt blieben, so dass ausgedehnte Weideflächen für die Viehhaltung als Lieferant einer proteinreichen Kost zur Verfügung standen. „Meine Daten zeigen, dass für den bisher kaum untersuchten Osten Deutschlands und besonders für die Frühe Neuzeit eine größere Datengrundlage geschaffen werden sollte“, meint Peitel. „Nur so können wir Einblicke in die besonderen Lebensumstände der damaligen Populationen gewinnen.“

Von Susanne Wedlich

Weitere Auskünfte erteilt Ihnen gern:
Dr. Diana Peitel, Institut für Humanbiologie und Anthropologie der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 83 20 32 18, E-Mail: d_peitel@yahoo.de

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