Mit körpereigenen Stammzellen gegen Parodontitis

An der Universität Witten/Herdecke (UWH) werden die Grundlagen eines therapeutischen Verfahrens mit Stammzellen erforscht, von dem sich die beteiligten Wissenschaftler bessere Ergebnisse und geringere Kosten bei der Behandlung von Parodontitis versprechen. Bei der neuen Methode sollen körpereigene Stammzellen eines Patienten dazu verwendet werden, dessen Zahnbett-Erkrankung zu bekämpfen. Die Wittener Forscher haben bereits gezeigt, dass sich geeignete Stammzellen aus dem Zahnhaltegewebe von Parodontitis-Patienten isolieren und vermehren lassen. Dieser weltweit erste Nachweis seiner Art ist die Basis für die angestrebte Therapie. Die detaillierten Ergebnisse werden in der kommenden Ausgabe des Fachjournals „Stem Cells and Development“ publiziert.

„Es ist uns gelungen, genau die Zellen zu isolieren, aus denen sich auch der Zahnhalteapparat ursprünglich entwickelt“, erläutert Darius Widera, Diplom-Biochemiker am Institut für Neurobiochemie der UWH. Die Stammzellen wurden aus entzündlich verändertem Zahnhaltegewebe gewonnen. Laborversuche haben bewiesen, dass diese Zellen multipotent sind und die Fähigkeit haben, sich sowohl in neuronale Zellen zu differenzieren als auch in Knochen- und Gewebe-Zellen des Zahnhalteapparates, des so genannten Parodonts. „Die Verwendung dieser Zellen hat zudem den Vorteil, dass sie im Gegensatz zum häufig umstrittenen Gebrauch von embryonalen Stammzellen ethisch absolut unbedenklich ist“, ergänzt Prof. Dr. Christian Kaltschmidt, der Leiter des Instituts für Neurobiochemie an der Fakultät für Biowissenschaften.

Den aktuellen Forschungsergebnissen kommen langjährige Erfahrungen zugute, die PD Dr. Barbara Kaltschmidt am Institut für Neurobiochemie mit der Differenzierung neuraler Stammzellen von Nagetieren gemacht hat. Ebenfalls maßgeblich an dem Forschungsprojekt beteiligt ist die Abteilung für Parodontologie der UWH-Zahnklinik mit ihrem Leiter Prof. Dr. Wolf-Dieter Grimm und dem Oberarzt Dr. Georg Gassmann. Die Kooperation geschieht im Rahmen der Entzündungsforschung, einem neuen Schwerpunkt der Universität. „Nachdem wir nun wissen, dass sich die von uns isolierten Stammzellen zu spezialisierten Zellen des Zahnhalteapparates entwickeln können, sind wir einer möglichen klinischen Anwendung einen großen Schritt näher gekommen“, gibt sich der Parodontologe Wolf-Dieter Grimm optimistisch.

Bisher können regenerative parodontal-chirurgische Eingriffe, die mit Erfolg auch in der Wittener Zahnklinik durchgeführt werden, nur Teile des zerstörten Zahnbettes wieder herstellen. Für schwere Fälle reichen diese Behandlungen nicht aus. Die regenerative Therapie mit körpereigenen Stammzellen soll verloren gegangenes Parodont neu wachsen lassen. Dazu würden zuvor entnommene und um ein vielfaches vermehrte Stammzellen in den betroffenen Bereich eingebracht werden. Eine Voraussetzung für den Erfolg ist, dass sich diese Zellart, wie im Laborversuch geschehen, auch im entzündlich veränderten Zahnhalteapparat des Patienten zu Parodontalzellen weiterentwickeln lässt.

Parodontitis ist eine Infektion in der Mundhöhle, die zu einer entzündlich bedingten Zerstörung des Zahnhalteapparates führt. Rund 20 Prozent der über 35-jährigen Deutschen leiden nach aktuellen Erkenntnissen an einer schweren Parodontitis (Vierte Deutsche Mundgesundheisstudie des Institutes Deutscher Zahnärzte, Köln 2006). Die schwere Parodontitis, auch chronische marginale Parodontitis genannt, ist die Hauptursache für Zahnverlust nach dem 35. Lebensjahr. Die Kosten für die Behandlung der Parodontitis werden in Deutschland auf jährlich ca. 400 Millionen Euro geschätzt.

Die Wittener Forscher hoffen, in rund zwei Jahren bei klinischen Studien die ersten Patienten mit der neuen Methode behandeln zu können. „Die praktische Umsetzung der Forschungsergebnisse würde sehr gut zum Profil des Zahnmedizinisch-Biowissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungszentrums passen“, so Parodontologie-Professor Grimm. Das neue Zentrum, kurz ZBZ, entsteht zurzeit in unmittelbarer Nähe der Universität. Die UWH-Zahnmedizin soll dort ein wichtiger Partner werden.

Referenz:
Darius Widera, Wolf-Dieter Grimm, Jeannette M Moebius, Ilja Mikenberg, Christoph Piechaczek, Georg Gassmann, Natascha A Wolff, Frank Thévenod, Christian Kaltschmidt, Barbara Kaltschmidt:
Highly Efficient neural differentiation of human somatic stem cells, isolated via minimally-invasive periodontal surgery,

Stem Cells and Development, im Druck

Weitere Infos:
Prof. Dr. Christian Kaltschmidt, 02302/926-129, C.Kaltschmidt@uni-wh.de
Prof. Dr. Wolf-Dieter Grimm, 02302/926-608, wolfg@uni-wh.de

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