Weniger ist mehr – Biochemiker erforschen, auf welche Weise Elektronen mit geringer Energie Krebszellen zerstören können

Für Naturwissenschaftler aller Teildisziplinen ist dies Ansporn, die Therapiemöglichkeiten weiter zu erforschen. Eine der wichtigsten Verfahren im Kampf gegen den Krebs ist derzeit die Strahlentherapie. Dabei wird energiereiche Strahlung örtlich begrenzt auf jenen Bereich im Körper gerichtet, in dem sich der Tumor befindet. Durch Schädigungen der Erbsubstanz (DNA) sollen die bösartigen Tumor-Zellen absterben. Wegen ihrer Vorteile für die Patienten wird die Strahlentherapie oft eingesetzt – Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 jeder vierte Bundesbürger einmal in seinem Leben mit der Strahlentherapie konfrontiert sein wird.

Leider wirken die eingesetzten Strahlen aber nicht nur auf die DNA der Tumorzellen. Auch das umliegende, gesunde Gewebe wird durch die Bestrahlung geschädigt. In den vergangenen Jahrzehnten beschäftigten sich deshalb zahllose Forschungsprojekte mit dem Thema Strahlenschäden und Strahlentherapie. Phänomene, wie etwa die Schädigung und Mutation des Erbguts, sind bereits umfassend dokumentiert. Welche molekularen Prozesse, diese Schäden jedoch auslösen, waren bislang weitgehend unbekannt. „Die Rolle von so genannten sekundären Elektronen, die bei der Bestrahlung auftreten, war kaum erforscht“, sagt Prof. Eugen Illenberger vom Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin. „Insbesondere den Elektronen mit geringer Energie kommt hier eine Schlüsselrolle zu.“

Mittlerweile arbeitet die Forschungsgruppe des Arbeitsbereichs Physikalische und Theoretische Chemie seit rund fünf Jahren an der Aufklärung jener molekularen Prozesse, die durch Strahlung in der DNA ausgelöst wird. Ein Projekt, das von Anfang an international ausgerichtet ist: Die DNA-Studien sind in europäische und internationale Forschungsnetzwerke eingebunden. „EIPAM“ (Electron Induced Processes at the Molecular Level) etwa ist ein Netzwerk, das gezielt die Kommunikation zwischen Physikern, Chemikern, Biochemikern und Theoriegruppen in Europa, Nordamerika und Japan fördert.

Im Blickpunkt der Wissenschaftler stand zunächst die Frage, an welchen Stellen die Strahlung die DNA überhaupt schädigen kann. Die DNA ist eine chemische Verbindung aus Molekülketten. Dieses so genannte Biopolymer, besteht aus zwei miteinander verbundenen und ineinander gedrehten Strängen. Ein einzelner Strang ist aus vier verschiedenen DNA-Bausteinen aufgebaut: Thymin, Adenin, Guanin und Cytosin. Diese vier so genannten Basen verbinden über ihre charakteristischen Paarungen die beiden Ketten. Das Gerüst der DNA setzt sich zudem aus Zucker- und Phosphateinheiten zusammen. Jedes Zuckermolekül ist mit je einer Base und einer Phosphateinheit verbunden. Diese kleinen Einheiten aus Base, Zucker und Phosphat nennt man Nucleotide – von ihnen hängt die Stabilität der ganzen DNA ab. Denn wenn in den Nucleotiden die Bindung zwischen Zucker- und Phosphateinheit zerbricht, kann der Bruch des ganzen DNA-Stranges die Folge sein.

Der Aufbau der DNA und ihrer chemischen Verbindungen spielen bei der Forschung von Eugen Illenberger eine wichtige Rolle. Denn die DNA wird nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler nicht direkt durch das auftreffende Strahlungsquant geschädigt. Aufgrund der elementaren Erhaltungssätze der Physik kann ein solches Teilchen nicht direkt das molekulare Netzwerk einer DNA aufbrechen oder verändern. Die zerstörerische Kraft birgt also nicht das Strahlungsquant selbst, sondern die so genannten sekundären Partikel. Diese Partikel entstehen beim Aufprall des Strahlungsquants auf das molekulare Netzwerk der Zelle. Wie ein großes Geschoss löst die Strahlung dabei aus dem Netzwerk der Zelle einen regelrechten „Elektronenschauer“ heraus.

Verglichen mit dem hochenergetischen Strahlungsquanten besitzen die sekundären Elektronen wesentlich weniger Energie: Sie reicht in den Bereich von 20 bis 30 Elektronenvolt. Damit können die sekundären Partikel nicht ohne weiteres chemische Bindungen aufbrechen – noch nicht einmal durch eine direkte Kollision. Dafür sind die Elektronen viel zu klein; ihre Masse beträgt weniger als ein Tausendstel der Masse eines Atoms oder eines Moleküls. Wegen ihrer geringen Masse und Energie ging man bisher davon aus, dass niederenergetische Elektronen keine besondere Rolle bei der DNA-Schädigung spielen. Dabei gleiche das Ganze der Geschichte von David gegen Goliath, erklärt Ilko Bald, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem Projekt beteiligt ist. Zusammen mit Janina Kopyra und Constanze König erforscht er die Reaktionen einzelner DNA-Bestandteile, wie zum Beispiel Zucker, auf niedrigenergetische Elektronen. „Unsere Ergebnisse klingen zunächst paradox: Die DNA wird erst dann beschädigt, wenn niedrigenergetische Elektronen in der Zelle noch weiter heruntergebremst werden und nur noch einen Bruchteil der Energie einer chemischen Bindung besitzen.“

Erst dann können die Elektronen ihre spezifische Wirkung auf die Basen in der DNA entfalten. Die Basen innerhalb des DNA-Gerüstes funktionieren nämlich wie Antennen. Sie können die Sekundärelektronen aufnehmen und dadurch die DNA verändern. Ihre Antennen sprechen jedoch nur auf Elektronen eines bestimmten Intervalls im niederenergetischen Bereich an. „Im Wissenschafts-Jargon heißt das: DNA-Basen besitzen niederenergetische Resonanzen mit repulsivem Charakter“, erklärt Eugen Illenberger. „Repulsiv“ bedeutet „abstoßend“ und wenn die DNA-Base erst ein solches Elektron aufnimmt, ändert sich das energetische Verhältnis. Die Basenpaare halten nicht mehr zusammen, sondern stoßen sich ab. Die chemische Verbindung zerbricht und mit ihr die DNA – die Verbindungen des Doppelstrangs werden dann zu Sollbruchstellen.

Die Ergebnisse der Berliner Forscher konnten bereits international überzeugen: Die Herausgeber des wichtigen Fachjournals der American Physical Society erklärten die Publikation des Teams um Eugen Illenberger zur „Frontier Research“, auch in anderen Fach-Publikationen, so genannten High Profile Journalen, erhielten ihre Artikel einen hervorgehobenen Status. Bis diese Forschungsergebnisse für die Weiterentwicklung der medizinischen Strahlentherapien tatsächlich genutzt werden, kann jedoch noch einige Zeit vergehen. Am Institut für physikalische und theoretische Chemie versucht man deshalb gezielt mit Strahlenbiologen und Medizinern in Kontakt zu treten. „Unsere Erkenntnisse können zum Beispiel bei der Entwicklung effektiverer Medikamente, die die Strahlentherapie gegen Krebs unterstützen, genutzt werden“, sagt Eugen Illenberger.

Aber auch andere Einsatzgebiete sind denkbar: Die Tatsache, dass bei der Feinabstimmung der Elektronenergie in Molekülen chemische Bindungen an ganz bestimmten Stellen gebrochen werden können, ist eine neu entdeckte Eigenschaft, die besonders für technische Anwendungen interessant ist. Bei der Mikrostrukturierung von Oberflächen etwa, einem Verfahren das in der Informationstechnologie sehr wichtig ist. Auch wenn diese Erkenntnis quasi ein Nebenprodukt der eigentlichen Forschungsidee ist – für Eugen Illenberger und seine Arbeitsgruppe sind es genau diese Ergebnisse, die sie an ihrem Fach so faszinieren. „Grundlagenforschung steckt eben immer voller Überraschungen.“

Von Julia Kimmerle

Weitere Informationen erteilt Ihnen:
Prof. Dr. Eugen Illenberger vom Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-55350 oder 838-52096, E-Mail: iln@chemie.fu-berlin.de

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