Viren als Nutznießer des kleinen Grenzverkehrs bei Pflanzenzellen

Viren befallen nicht nur Menschen, sondern auch Tomaten, Kartoffeln, Salat oder Äpfel. Sie stören die Vitalfunktionen der befallenen Pflanzen und führen häufig zu starken Ertragsausfällen. Um sich zu vermehren und auszubreiten, nutzen sie die Infrastruktur der Wirtspflanzen aus.

Ein deutsch-russisches Wissenschaftlerteam hat nun eine neue Familie von Pflanzeneiweißen entdeckt, die maßgeblich an der Ausbreitung der Viren in den Pflanzen beteiligt sind. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA), der Universität Moskau, der Wissenschaftsakademie Russlands sowie der Universität Rostock kürzlich in der Fachzeitschrift „Molecular Plant-Microbe Interactions“ veröffentlicht.

Das neu entdeckte At-4/1 genannte Protein ist offenbar für den Transport „sperriger Güter“ von einer Zelle in die Nachbarzelle verantwortlich. Anders als für niedermolekulare Stoffe erfolgt der Transport etwa von Proteinen über spezielle Kanäle der Zellwand, die Plasmodesmen. Auch Pflanzenviren sind für Zellmaßstäbe große Gebilde. Um sich in der Pflanze auszubreiten, sind sie ebenfalls auf diese „Grenzstationen“ der Zellwand angewiesen. Genau hier kommen die neu beschriebenen Transportproteine der Pflanze ins Spiel.

„Die Lokalisation des At-4/1 in der Zelle ist hochinteressant. Wir konnten nachweisen, dass es sich zu beiden Seiten der Zellmembran an den Öffnungen der Plasmodesmen anordnet und dort Zwillingsstrukturen ausbildet“, erklärt Dr. Joachim Schiemann von der Biologischen Bundesanstalt. Weitere Experimente zeigten, dass sich das pflanzliche Protein mit speziellen Transporteiweißen von Pflanzenviren verbindet. Diese Ergebnisse legen nahe, dass At-4/1 nicht nur eigene „pflanzliche Güter“ durch die Plasmodesmen transportieren hilft, sondern auch Viren den Grenzübertritt ermöglicht.

„Die Entdeckung der neuen Proteinfamilie hilft uns, die innerpflanzlichen Transportprozesse von Makromolekülen besser zu verstehen“, so Dr. Schiemann. Dabei sei At-4/1 nur eine Frucht der langjährigen Forschungskooperationen mit den russischen Kollegen, betont der Wissenschaftler aus der BBA. Generell geht es ihm und seinen Partnern darum, die Wechselwirkungen zwischen Wirtspflanze und Pflanzenvirus auf molekularer Ebene zu verstehen. Das Wissen über die beteiligten Proteine liefert letztlich den Schlüssel, um die Ausbreitung der Pflanzenviren zu stoppen oder die Infektion zu verhindern und somit unsere Kulturpflanzen gesund zu erhalten.

Entdeckt wurde das neue Transportprotein in der Pflanze Arabidopsis thaliana, dem „unscheinbaren Haustier“ der Pflanzengenetiker und -physiologen. Das Wissenschaftlerteam hat jedoch Gene, die für Mitglieder der neuen Proteinfamilie codieren, in anderen Pflanzen gefunden, z. B. im Tabak. Ein nächster Schritt ist es herauszufinden, mit welchen anderen pflanzlichen Komponenten, vorzugsweise mit welchen anderen Proteinen der Zellwand, das neue entdeckte Protein At-4/1 in Arabidopsis bzw. analoge Proteine in anderen Pflanzen interagieren.

Der Originalartikel mit dem Titel „At-4/1, an Interactor of the Tomato spotted wilt virus Movement Protein, belongs to a New Family of Plant proteins Capable of directed intra- and intercellular Trafficking“ ist erschienen in der Fachzeitschrift Molecular Plant-Microbe Interactions (MPMI) Vol. 19 Nr. 8/2006, S. 874-883. URL: http://www.ismpminet.org/mpmi/+toc/2006/mau06tp.htm

Plasmodesmen sind dünne, von einer Membran umgebene Plasmastränge. Sie schaffen durch die Zellwand einer Pflanzenzelle eine Verbindung zur Nachbarzelle. Dank der Plasmodesmen können hochmolekulare Stoffe zwischen Zellen direkt ausgetauscht werden.

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Joachim Schiemann
Institut für Pflanzenvirologie, Mikrobiologie und biologische Sicherheit
der Biologischen Bundesanstalt
Messeweg11-12, 38104 Braunschweig
Tel.: 0531 / 299-3800
E-Mail: j.schiemann@bba.de

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Stefanie Hahn idw

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