Einfach eintauchen

Wenn es gilt, das Leben eines Vergifteten zu retten, geht es oft um Minuten. Am besten, wenn bereits der Notarzt an Ort und Stelle verlässlich diagnostizieren kann, was für ein Gift oder die Überdosis welcher Droge der Patient intus hat. Komplizierte Laboranalytik und aufwendige Apparatetechnik sind hier fehl am Platz.

Ein Team von der University of Illinois, Urbana, USA, hat nun die Basis für eine neue Generation von diagnostischen Schnelltests gelegt, die so simpel wie ein Schwangerschaftstest gehandhabt werden: einfach in die Probe tauchen und nachsehen, ob ein farbiger Streifen erscheint. Die Teststäbchen sind dabei genauso zuverlässig wie Labormethoden. Als Prototyp entwickelten die Forscher um Yi Lu einen Teststreifen, der Kokain in biologischen Proben wie Speichel, Urin und Blutserum selektiv nachweist.

„Unsere Methode basiert auf winzigen Goldkügelchen und Aptameren,“ berichtet Lu. Aptamere sind einzelsträngige Nucleinsäuremoleküle, die genau wie Antikörper stark und spezifisch an bestimmte Zielmoleküle binden. Aus einer großen Menge von DNA-Strängen mit zufälligen Sequenzen („Bibliothek“), lässt sich im Grunde für fast jedes beliebige Zielmolekül ein passendes Aptamer heraussuchen. Lu: „In der diagnostischen Praxis hat die Aptamer-Technik bisher allerdings nicht gehalten, was sie versprach, denn die entsprechenden Tests konnten für den durchschnittlichen, eher laborunerfahrenen Anwender nicht benutzerfreundlich genug gestaltet werden.“

Das ist bei den neuen Teststäbchen für Kokain anders: Das Ende des Stäbchens wird in die Probe getaucht. Die Flüssigkeit wandert auf dem Stäbchen weiter und erreicht eine Zone mit kleinen Gold-Aptamer-Klümpchen. Der besondere Trick ist ihr spezieller Aufbau: Es sind Aggregate aus nanoskopischen Goldkügelchen, an die kurze DNA-Stränge gekoppelt sind, einige tragen zusätzlich das Biomolekül Biotin. Die DNA-Sequenzen sind die passenden Gegenstücke zu zwei Bereichen der Kokain-spezifischen Aptamer-DNA. Die Aptamere binden daran und vernetzen auf diese Weise die Goldkügelchen untereinander zu größeren Aggregaten. Erreicht nun eine kokainhaltige Flüssigkeit diese Aggregate, binden die Kokain-Moleküle sofort an die Aptamere und lösen sie aus dem Netzwerk heraus, die Aggregate zerfallen zu einzelnen Gold-Kügelchen. Diese freien Kügelchen sind rot. Wenn die Flüssigkeit weiter wandert, erreicht sie eine Membran. Während die großen Gold-Aggregate von der Membran zurückgehalten werden, sind die roten Goldkügelchen klein genug, um die Membran zu durchqueren. Die Endstation ihrer Wanderung ist erst ein schmaler Streifen Streptavidin – ein Biomolekül, das zum Biotin auf der Goldoberfläche passt wie ein Haken zu seiner Öse. Die Goldkügelchen bleiben hängen, werden an dieser Stelle aufkonzentriert und zeigen sich als deutlicher roter Streifen auf dem Teststäbchen.

„Unsere neue Methode ist universell,“ betont Lu. „Auf diesem Prinzip sollten sich für eine Vielzahl von Drogen und Giften, aber auch physiologischen Molekülen Schnelltests für die Notfall-Diagnostik entwickeln lassen. Außer in der Diagnostik kann die Methode auch in der Umweltanalytik eingesetzt werden.“

Angewandte Chemie: Presseinfo 46/2006
Autor: Yi Lu, University of Illinois at Urbana-Champaign, Urbana (USA), http://montypython.scs.uiuc.edu/
Angewandte Chemie 2006, 118, No. 47, 8123-8127, doi: 10.1002/ange.200603106
Angewandte Chemie, Postfach 101161, 69495 Weinheim, Germany

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Dr. Renate Hoer idw

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