Schlüsselmoleküle öffnen Heilungschancen

Unter Diabetes Typ II, häufig auch Alterszucker genannt, leiden in Deutschland fünf Millionen Menschen. Die Zahl der Alzheimer-Patienten wird auf 700.000 geschätzt. Doch die beiden Krankheiten verbinden in unserer älter werdenden Gesellschaft nicht nur die steigende Zahl von Betroffenen: Sie gehören beide zu den so genannten Amyloid-Krankheiten. Dabei ballen sich entweder in der Bauchspeicheldrüse oder im Gehirn Moleküle zusammen und bilden Konglomerate, die toxisch auf benachbarte Zellen einwirken.

„Die beiden an diesem Prozess beteiligten Moleküle IAPP und beta-Amyloid-Peptid sind zu 25 Prozent gleich und zu 50 Prozent ähnlich“, beschreibt Prof. Dr. rer.nat. Aphrodite Kapurniotu. Die Wissenschaftlerin untersucht am Institut für Biochemie der RWTH amyloidbildende Moleküle wie das Bauspeicheldrüsehormon IAPP. Gemeinsam mit ihrer Forschergruppe gelang es ihr kürzlich, ein IAPP- „Mimetikum“, eine synthetische Nachbildung, zu schaffen. Diese lehnt sich eng an das native IAPP-Molekül an und kann mit dem körpereigenen Hormon in Interaktion treten, was die toxische Konglomeratbildung blockiert. Zudem ist es sehr gut löslich, was für eine spätere medikamentöse Anwendung wichtig ist.

Die Ähnlichkeit der beiden Moleküle, die sich im Verlauf von Diabetes Typ II und Alzheimer so schädlich verhalten, veranlasste Prof. Kapurniotu dazu, auch die Wirkung des Mimetikums auf das beta-Amyloid-Peptid zu überprüfen. Dabei stieß sie auf bisher unbekannte und unvorhersehbare Wechselwirkungen der beiden Schlüsselmoleküle. Im Labor zeigte sich, dass der synthetische Nachbau das körpereigene beta-Amyloid-Peptid erkennt und beide eine überraschend starke Affinität verbindet. Sie bilden einen Komplex, welcher die Entstehung der toxischen Konglomerate blockiert und sogar rückgängig macht. Noch handelt es sich bei den Untersuchungen um Grundlagenforschung, die allerdings Hoffnung auf wirksame Medikamente für beide Krankheiten macht. Schließlich wird die Bildung von Amyloid-Ablagerungen bei Diabetikern als ein Grund für die Zerstörung von Zellen der Bauchspeicheldrüse und somit das Voranschreiten der Krankheit gehalten. Bei Alzheimer-Patienten greifen die Konglomerate Nervenzellen im Gehirn an. Je nach Lehrmeinung wird dies als Effekt der Krankheit oder deren Auslöser gedeutet.

Die Forschungsergebnisse von Prof. Kapurniotu fördern in jedem Fall das grundsätzliche Verständnis. „Weitere Untersuchungen auf molekularer Ebene und auch an Tiermodellen sind jetzt wichtig, um mehr über beide Krankheiten zu erfahren und beispielsweise zu überprüfen, ob ein gestörtes molekulares Gleichgewicht den Ausbruch der Krankheiten beeinflussen kann. Bewahrheitet sich die entdeckte molekulare Wechselwirkung und ihre Amyloid blockierende Konsequenz in vivo, also bei lebenden Organismen, könnte man auf der Basis dieses Prinzips, zum Beispiel anhand der Struktur des Mimetikums, eine komplett neue Klasse an Stoffen entwerfen, die für die Bekämpfung beider Krankheiten einsetzbar wären“, sagt Prof. Kapurniotu.

Die Arbeit der Aachener Wissenschaftler über die Wechselwirkungen der beiden Schlüsselmoleküle und das IAPP-Mimentikum wurde von der weltweit renommierten Fachzeitung „Angewandte Chemie“ als „sehr wichtige Veröffentlichung“ eingestuft und wird demnächst in dieser Zeitschrift publiziert.

i. A. Sabine Busse

Weitere Informationen:
Prof. Dr. rer.nat. Aphrodite Kapurniotu
Labor für Bioorganische und Medizinische Chemie
Institut für Biochemie
Pauwelstraße 30
52074 Aachen
Telefon: 0241 – 80 8 88 44
E-Mail: akapurniotu@ukaachen.de

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Thomas von Salzen idw

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