Wie finden Spermien ihr Ziel?

Wie findet ein Spermium die Eizelle? Auf diese Frage fanden Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich neue Antworten. Mit besonderen Techniken konnten sie die Signalkette aufklären, die in Gang gesetzt wird, wenn ein Spermium eines Seeigels mit dem Lockstoff der Eizelle in Kontakt kommt.

Die Biophysiker fanden heraus, dass sich die Membranspannung ändert und in Folge Calcium von außen in das Spermium einströmt. Der Calciumeinstrom steuert das Schwimmverhalten der Spermien zur Eizelle hin. Die Forscher sind zuversichtlich, dass sie mit ihren neuen Techniken nun auch die Signalwege in menschlichen Spermien aufklären können. Die Ergebnisse sind in der Oktober-Ausgabe der renommierten Zeitschrift „Nature Cell Biology“ veröffentlicht (Strünker et al. Advance Online Publication 10. September).

Eizellen setzen chemische Lockstoffe frei, die Spermien anlocken. Die Konzentration des Lockstoffs an der Eizelle ist hoch und nimmt mit zunehmender Entfernung ab. Spermien orientieren sich in diesem Lockstoffgradienten, der die Eizelle umgibt, und sind so in der Lage, die Eizelle aufzuspüren. Das Schwimmverhalten von Spermien wird durch einen chemischen Reiz gesteuert. „Diese Chemotaxis beobachtet man bei einfachen Meerestieren bis hin zum Menschen“, erklärt Prof. U. Benjamin Kaupp, Direktor am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Biophysik. „Die Lockstoffe binden an spezifische Rezeptorproteine auf der Spermienoberfläche und lösen zelluläre Reaktionen aus, die das Schwimmverhalten ändern.“ Wie der Signalweg von den Rezeptoren bis hin zur Änderung der Schwimmbahn abläuft, lag bisher weitgehend im Dunkeln.

Seit Jahren vermuten Wissenschaftler, dass Ionenkanäle bei diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen. Diese mikroskopisch kleinen Poren in der Zellmembran ermöglichen Ionen – geladene Teilchen -, die Zellmembran zu passieren. Ionenströme sind entscheidend dafür, das elektrische Signale in Zellen entstehen und weitergeleitet werden, insbesondere in Nervenzellen. Die elektrischen Signale von Zellen werden normalerweise mit Hilfe von Mikroelektroden gemessen. Dies ist an schwimmenden Spermien aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer Beweglichkeit nahezu unmöglich. „Wir konnten nun die elektrische Erregung in frei schwimmenden Spermien mit einer optischen Methode messen“, erklärt Dr. Ingo Weyand. „Dazu werden Spermien einer Seeigel-Art mit speziellen spannungsempfindlichen Farbstoffen markiert und mit dem Lockstoff, einem kurzkettigen Eiweiß, schnell gemischt. Der Lockstoff bindet an ein Rezeptorprotein auf der Oberfläche der Spermien, welches wiederum einen zellulären Botenstoff (cyclo GMP) herstellt.“

Die Wissenschaftler der Arbeitgruppe um Kaupp und Weyand fanden heraus, dass der Botenstoff cyclo GMP einen Ionenkanal öffnet, der auch beim Sehen und Riechen beteiligt ist. Der Ionenkanal in Spermien hat aber ungewöhnliche Eigenschaften, die ihn von den Kanälen in Seh- und Riechzellen unterscheiden. Er lässt nur Kalium-Ionen passieren. „Wenn der Kanal öffnet, strömen Kalium-Ionen aus der Spermienzelle und erzeugen elektrische Pulse, wie man sie aus Nervenzellen, insbesondere Sehzellen kennt“, erklärt Weyand.

Der neue Ionenkanal konnte in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie in Berlin erstmals an der Oberfläche des Spermienschwanzes nachgewiesen werden. Die Forscher entdeckten, dass der Kaliumausstrom weitere Ionenkanäle aktiviert, durch die Calciumionen in das Zellinnere der Spermien strömen. Der schnelle Calciumeinstrom bewirkt, dass die Spermien Wendemanöver durchführen und dadurch ihre Schwimmrichtung ändern.

„Die Signalwege in Sehzellen und Spermien sind erstaunlich ähnlich“, zieht Kaupp eine interessante Schlussfolgerung. „Beide Zelltypen sind äußerst empfindlich und antworten schon auf ein einzelnes Lichtquant beziehungsweise Lockstoffmolekül.“ Der Botenstoff ist in beiden Fällen das cyclo GMP. Dieses reguliert in Sehzellen und Spermien Ionenkanäle, die zur gleichen Proteinfamilie gehören und mit ihrem elektrischen Signal eine gleiche Reaktion hervorrufen.

Die Forscher sind zuversichtlich, dass sie mit ihren neuen Techniken nun auch die Signalwege in menschlichen Spermien aufklären können. Erst wenn man die zellulären Signalwege genau versteht, kann man in den Prozess eingreifen. So könnte eine gezielte Blockierung der Signalkette im Spermium vielleicht zu einer Methode der Empfängnisverhütung beim Mann führen.

Über das Forschungszentrum Jülich Das Forschungszentrum Jülich ist mit rund 4 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das größte multidisziplinäre Forschungszentrum in Europa. Seine Themen spiegeln die großen Herausforderungen der Gesellschaft wider: Erhalt von Gesundheit, Umgang mit Information, Schutz der Umwelt sowie Versorgung mit Energie. Langfristige, grundlagenorientierte und fächerübergreifende Beiträge zu Naturwissenschaft und Technik werden ebenso erarbeitet wie konkrete technologische Anwendungen für die Industrie. Charakteristisch für Jülich ist, dass sich die Forscher zwei zentraler Schlüsselkompetenzen bedienen: der Physik und des wissenschaftlichen Rechnens mit Supercomputern. Das 1956 gegründete Forschungszentrum Jülich ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft, dem Verbund der 15 nationalen Forschungszentren, die – bis auf wenige Ausnahmen – jeweils zu 90 % vom Bund und zu 10 % vom Sitzland finanziert werden.

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Annette Stettien Forschungszentrum Jülich

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