Molekulare Verteidigungslinie als Angriffspunkt für Medikamente

Ziel des am 15. und 16. September in Bonn stattfindenden Workshops „Toll-like receptor-based drug development“ ist es, diesem dynamischen Forschungsgebiet in Deutschland weiteren Schub zu verleihen. Hierzu hat die Paul-Martini-Stiftung, Berlin, zusammen mit dem Universitätsclub Bonn eingeladen. Er wird führende Experten aus Grundlagenforschung, Kliniken und Unternehmen zusammenbringen, darunter auch den Robert-Koch-Preisträger 2004, Professor Shizuo Akira aus Japan. Wissenschaftlich geleitet wird der Workshop von den Professoren Gunther Hartmann, Universitätsklinikum Bonn, sowie Stefan Endres und Peter C. Scriba, beide Ludwig-Maximilian-Universität München.

TLR sind Teil der ersten Verteidigungslinie des angeborenen Immunsystems. Immunzellen wie die plasmazytoiden dendritischen Zellen, die diese membranständig oder endosomal tragen, können damit molekulare Muster erkennen, die für Bakterien, Viren und andere Pathogene typisch sind, und daraufhin andere Immunzellen alarmieren. Das Gen Toll wurde 1985 von der späteren Nobelpreisträgerin Nüsslein-Volhardt in Fliegen entdeckt. Seit 1997 das erste Säuger-TLR gefunden wurde, hat die Forschung herausgearbeitet, dass Fehlfunktionen dieser Rezeptoren zu unangemessenen Immunreaktionen bei Infektionskrankheiten, Krebs, Sepsis und anderen Folgewirkungen bakterieller Infektionen führen.

Schnell wurden die TLRs von der Arzneiforschung aufgegriffen. Ein TLR-stimulierendes Medikament mit dem Wirkstoff Imiquimod ist hierzulande sogar schon seit 1998 zugelassen: zur Behandlung von Genitalwarzen und Basalzellkarzinomen, die durch Papillomviren hervorgerufen werden. Seine Entwickler waren sich der TLR-Natur ihres Targets aber nicht bewusst.

Heute hingegen verläuft die Entwicklung therapeutischer Liganden zielgerichtet mit Blick auf die anzusprechenden TLR-Rezeptoren. Einige Projekte setzen dabei auf synthetische niedermolekulare Liganden, die wie Imiquimod in der Bekämpfung von Virusinfektionen eingesetzt werden können. Die meisten in Entwicklung befindlichen TLR-Liganden sind jedoch Oligonukleotide, die bakteriellen und viralen Nukleinsäuren als den natürlichen Liganden mehrerer TLRs nachempfunden sind.

Zu den aussichtsreichen Einsatzgebieten der Oligonukleotide zählt ihre Anwendung als Adjuvans in Impfungen gegen Infektionen. Die Entwicklung so genannter CpG-Oligonukleotiden als Vakzine-Adjuvans hat die klinische Phase II erreicht. Andere Oligonukleotide werden als Monotherapie gegen Hepatitis C und andere Virusinfektionen erprobt. Schließlich werden Oligonukleotide auch als Wirkstoffe zur Therapie solider Tumoren erprobt; zur Behandlung des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms läuft derzeit eine multizentrische internationale Phase-III-Studie. Eine wichtige Rolle spielt die gezielte Aktivierung bestimmter TLR auch bei der experimentellen Tumortherapie durch Vakzinierung mit extrakorporal gezüchteten dendritischen Zellen, die mit Antigenen der Tumorzellen des Patienten beladen wurden.

Nicht immer allerdings ist bei Oligonukleotiden eine TLR-Aktivierung das Ziel. Bei small interfering RNAs (siRNAs) etwa, die zum gene silencing dienen sollen, ist diese „Nebenwirkung“ unerwünscht. Exakte Kenntnisse über die Strukturmotive, auf die TLR ansprechen, können deshalb auch dazu dienen, synthetische siRNAs „TLR-neutral“ zu konstruieren.

Schließlich sollen bei diesem Workshop auch therapeutische Fragestellungen diskutiert werden, in denen nicht die Aktivierung, sondern die Inhibition von TLR indiziert ist. Hierzu zählen Autoimmunkrankheiten wie Lupus erythematodes.

Bonn ist als Ausrichtungsort für das Symposium nicht nur aufgrund aktueller TLR-Forschung, sondern auch historisch prädestiniert. Denn hier wurde 1866 die Grundlage der onkologischen Immuntherapie gelegt, die – wie man heute weiß – auf TLR-Aktivierung basiert. Seinerzeit beobachtete Wilhelm Busch, der Lehrstuhlinhaber für Chirurgie der Bonner Universitätsklinik, dass sich Tumore im Rahmen von Infektionen vorübergehend zurückbilden. Im genannten Jahr – und damit noch vor der Entdeckung von Bakterien – induzierte er über lokale Verletzung und Kontamination eine Infektion im Tumorbereich einer Patientin und bewirkte so eine vorübergehende Regression des Tumors.

Die Paul-Martini-Stiftung

Mit diesem Workshop feiert die Paul-Martini-Stiftung gleichzeitig ihr 40-jähriges Gründungsjubiläum. Die gemeinnützige Stiftung, die inzwischen ihren Sitz in Berlin hat, fördert die Arzneimittelforschung sowie die Forschung über Arzneimitteltherapie und intensiviert den wissenschaftlichen Dialog zu Fragen der Arzneimittelforschung und -entwicklung zwischen medizinischen Wissenschaftlern in Universitäten, Krankenhäusern, der forschenden pharmazeutischen Industrie und anderen Forschungseinrichtungen sowie Behörden. Träger der Stiftung ist der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA), Berlin, mit seinen derzeit 40 Mitgliedsunternehmen.

Die Stiftung ist benannt nach dem herausragenden Bonner Wissenschaftler und Arzt Professor Paul Martini (1889 – 1964), in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die Förderung und Weiterentwicklung der klinisch-therapeutischen Forschung, die er mit seiner 1932 veröffentlichten „Methodenlehre der therapeutischen Untersuchung“ über Jahrzehnte wesentlich geprägt hat. Nach ihm ist auch der jährliche von der Stiftung verliehene Preis für herausragende klinische Forschung benannt.

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