"Stress and the City": Stadtvögel bleiben cool

Flügges Amsel-Junge <br>Bild: Ingo Teich / MPI für Ornithologie

Dass chronischer Stress einen gesundheitsschädlichen Einfluss auf einen Organismus haben kann, ist seit längerem bekannt. Tiere, die Städte besiedeln, sind vielen neuen und potenziell stressvollen Situationen ausgesetzt. Sie könnten daher unter den negativen Folgen des Stadtlebens leiden, sofern sie nicht ihre Stressantwort an diese Bedingungen angepasst haben. Jesko Partecke, Ingrid Schwabl und Eberhard Gwinner vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Andechs/Seewiesen haben jetzt nachgewiesen, dass in der Stadt geborene Amseln tatsächlich eine geringere hormonelle Stressantwort aufweisen als Amseln aus naturnahen Wäldern. Diese Reaktion hat vermutlich eine genetische Basis und ist das Resultat der urbanen Selektionsfaktoren, denen Stadtamseln ausgesetzt sind (Ecology 87(8) 2006).

Viele Tierarten besiedeln sehr erfolgreich unsere Städte. Dazu gehört auch die Amsel, die offenbar vom Lebensraum Stadt durch das wärmere Mikroklima und durch das erhöhte Nahrungsangebot profitiert. Allerdings sind diese so genannten Kulturfolger auch vielen neuen und potenziell stressvollen Störungen ausgesetzt, wie z.B. die permanente Präsenz des Menschen, hohe Dichte an Haustieren, erhöhter Lärm- und Lichtpegel sowie starker Stadtverkehr.

Wirbeltiere – so auch der Mensch – bewältigen solche ungünstigen Umweltbedingungen mit einer akuten Stress-Antwort, welche sich durch die rasche Ausschüttung von Glukokortikoid- Steroid-Hormonen auszeichnet. Die unmittelbare, aber kurzzeitige Ausschüttung dieser Hormone wird als nützliche Anpassung betrachtet. Denn sie hilft, bestimmte verhaltensphysiologische Änderungen auszulösen, um auf den akuten Stressfaktor schnell reagieren zu können. Unter anhaltenden Stresssituationen aber können die chronisch erhöhten Stresshormone erhebliche gesundheitliche Folgen haben: So können sie Fortpflanzung, Immunabwehr und Hirnfunktion beeinträchtigen. Folglich würden Tiere, die in Städten leben, unter den urbanen Bedingungen deutlich leiden, wenn sie ihre Stressantwort nicht den Stadtbedingungen angepasst hätten.

Während Verhaltensänderungen von Stadtvögeln schon öfter dokumentiert worden sind – so sind z.B. Stadtamseln oft zahmer als ihre Verwandten aus „natürlichen“ Habitaten – war bis jetzt nicht bekannt, ob das Stadtleben auch von Änderungen in der physiologischen Stressantwort begleitet ist. Sollte das der Fall sein, dann wäre zu klären, ob diese Anpassung auf individueller Flexibilität beruht, oder aber das Ergebnis mikroevolutionärer Veränderungen ist, die im Zuge der Verstädterung entstanden sind.

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Andechs/Seewiesen aus der Arbeitsgruppe des leider vor zwei Jahren verstorbenen Max-Planck-Direktors Eberhard Gwinner sind dieser Frage nachgegangen. Sie zogen Amsel-Nestlinge aus München und einem 40 Kilometer von München entfernten Waldgebiet von Hand auf und hielten beide Gruppen über einen Zeitraum von einem Jahr zusammen in einem Vogelraum. Die Vogelgruppen lebten somit unter exakt denselben kontrollierten Umweltbedingungen, und zwar sowohl während ihrer Entwicklungsphase als auch später während des Experiments.

Im ersten Herbst und im ersten Winter sowie im ersten Frühjahr setzte Jesko Partecke die Stadt- und Waldamseln jeweils unter gleichen standardisierten Bedingungen einer akuten Stresssituation aus und sammelte währenddessen Blutproben, um die Konzentration von Kortikosteron, dem Stresshormon von Vögeln, zu bestimmen. Unter normalen, d.h. „stressfreien“, Bedingungen unterschieden sich Stadt- und Waldamseln nicht in ihrer Korikosteron-Ausschüttung. Auch zeigten beide Gruppen eine ähnlich akute hormonelle Stress-Antwort während ihres ersten Herbstes. Dies änderte sich jedoch drastisch während des ersten Winters und des ersten Frühjahrs: Stadtamseln zeigten nun eine deutlich verminderte Stressantwort als die Waldamseln.

„Diese Ergebnisse belegen erstmals, dass das Stadtleben verhaltensphysiologische Mechanismen, die zum Überleben notwendig sind, in Wildtieren deutlich verändert“, erklärt Partecke. Eine solche reduzierte hormonelle Stressantwort könnte allgegenwärtig und vermutlich bei vielen Tierarten, die in Städten erfolgreich leben, erforderlich sein. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Unterschied in der hormonellen Stressantwort zwischen Stadt- und Waldamseln genetisch festgelegt ist und wahrscheinlich das Ergebnis der extremen Selektionsfaktoren in der Stadt, wodurch jene Individuen einen Vorteil erlangen, die besser mit den „urbanen Stressfaktoren“ zurechtkommen.

Warum sich die beiden Vogelgruppen bei ihrer Stressantwort nicht in ihrem ersten Herbst unterscheiden, ist eine Frage, die die Wissenschaftler noch nicht beantworten können. „Möglicherweise wird die verringerte Stressantwort erst später im Leben ausgebildet“, spekuliert Partecke. Zumindest möchte er gerne überprüfen, ob auch frei lebende Stadtamseln eine verminderte physiologische Stressantwort im Vergleich zu ihren frei lebenden Artgenossen in den Wäldern zeigen.

Originalveröffentlichung:

Jesko Partecke, Ingrid Schwabl and Eberhard Gwinner
Stress and the city: Urbanization and its effects on the stress physiology in European blackbirds

Ecology, 87(8), 1945-1952 (2006)

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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