Freundinnen fürs Leben – Soziale Beziehungen zwischen Gorillaweibchen in Zoos

Die sozialen Beziehungen im Freiland lebender Gorillaweibchen sind vor allem durch eine starke Bindung an das dominante Männchen, den Silberrücken, geprägt. Als Leiter der Gruppe garantiert er den Schutz der Nachkommen. Im Vergleich damit ist die Bindung zwischen Weibchen wesentlich schwächer ausgebildet. Für ihre Studie ging die Biologin Dr. Iris Weiche vom Zoologischen Institut der Universität Tübingen von der Annahme aus, dass im Vergleich mit im Freiland lebenden Gruppen die sozialen Beziehungen zwischen Tieren in Gefangenschaft aufgrund der räumlichen Beschränktheit, langjährigem Zusammenleben der Gruppenmitglieder und fehlender Nahrungskonkurrenz anders beziehungsweise enger sein müssten. Ihre Untersuchungsergebnisse zur Integration von neuen Mitgliedern in bestehende Gorillagruppen sind für Zoos auch von praktischer Bedeutung.

Über sechs Jahre hinweg untersuchte Iris Weiche in Zoos die Sozialbeziehungen zwischen erwachsenen, weiblichen Westlichen Flachlandgorillas, einer Gorillaart. Dafür beobachtete sie vier in Zoos lebende Gruppen, die jeweils aus einem Männchen, drei bis fünf erwachsenen Weibchen und ihren Nachkommen bestanden. Zwei der untersuchten Gruppen lebten in einem Zoo im niederländischen Apenheul, eine weitere Gruppe in Arnheim. Bei der vierten Gruppe handelt es sich um Tiere aus der Wilhelma in Stuttgart. Iris Weiche untersuchte sowohl freundliche Interaktionen als auch Aggressionen zwischen den Gruppenmitgliedern. Das Verhalten nach Konflikten war für sie von besonderem Interesse: „Bislang ging man davon aus, dass Weibchen sich nach einem Konflikt vorrangig mit dem schutzgebenden Männchen versöhnen, mit anderen Weibchen dagegen nur in der Ausnahme. Aufgrund des begrenzten Raums konnte man bei den Zoogruppen jedoch vermuten, dass Strategien zur Konfliktvermeidung und -lösung entwickelt werden“, so die Biologin.

Im Freiland verlassen Flachlandgorillas ihre Herkunftsgruppe, sobald sie fortpflanzungsfähig sind. Dies geschieht bei den Männchen zur Vermeidung der Konkurrenz um Weibchen. Die Weibchen können durch einen Gruppenwechsel Inzestprobleme umgehen, da der Leiter ihrer Herkunftsgruppe meistens auch ihr Vater ist. Gleichzeitig sind sie vor allem am bestmöglichen Schutz für ihre Nachkommen interessiert. Denn der Infantizid, die Tötung von Jungtieren innerhalb der ersten drei Lebensjahre durch erwachsene Männchen, stellt für sie die größte Bedrohung dar. Zumindest bei den Berggorillas: dort fallen mehr als 30 Prozent der Jungtiere einer Kindstötung zum Opfer. Ein Weibchen orientiert sich daher bei der Wahl einer neuen Gruppe an der Stärke des männlichen Alpha-Tieres. „Wenn ein fremdes Männchen ein Kind tötet, war der bisherige Gruppenleiter und Vater nicht in der Lage, guten Schutz zu gewährleisten. Oft wechselt dann die Mutter zu dem neuen Männchen, das ihr Kind getötet hat“, erklärt Iris Weiche. Zu anderen Weibchen in der Gruppe werden häufig nur schwache soziale Beziehungen ausgebildet. Dieses Verhalten entspricht der soziobiologischen Theorie: „Man geht davon aus, dass Beziehungen gebildet werden, wenn sie von Vorteil sind, zum Beispiel für die Verteidigung von Nahrung, für Koalitionsbildungen oder Unterstützung in Konflikten mit dritten. Diese Unterstützung trifft man am ehesten bei Verwandten. Wenn man ihnen hilft, hat man indirekt einen Nutzen für die eigenen Gene, die auch die Verwandten teilweise in sich tragen.“

Ein Schwerpunkt von Weiches Studie war die Beobachtung von vier Integrationen von Weibchen in neue Zoogruppen. Drei der Weibchen waren zu diesem Zeitpunkt bereits erwachsen, eines war ein sozial unerfahrenes Jungtier. „Ob eine Integration gelingt, hängt hauptsächlich von der Sozialkompetenz der beteiligten Tiere ab“, fasst Iris Weiche ihre Beobachtungen zusammen. Fremde Weibchen seien vor allem auf die Unterstützung durch den Silberrücken angewiesen, um in einer neuen Gruppe akzeptiert zu werden. Ein Silberrücken mit ausgeprägter Sozialkompetenz und Erfahrung wirke integrationsfördernd. Das könnten durchaus auch jüngere Tiere sein, wenn sie selbst in einer sozial gut funktionierenden Gruppe aufgewachsen seien. „Die Aggression, die fremden Weibchen entgegengebracht wird, kann aber auch von der Gruppengröße abhängen“, sagt Weiche. Ein junges Weibchen, das von Menschen aufgezogen wurde, hatte besonders große Probleme, in eine Gruppe aufgenommen zu werden: „Es konnte die Reaktionen der erwachsenen Tiere überhaupt nicht einschätzen.“ Eine Integration in eine sozial erfahrene Gruppe kann sich innerhalb eines Tages vollziehen, während sie sich in anderen Fällen über Monate hinziehen kann und das neue Tier zunächst vorsichtig Kontakt mit jedem einzelnen Gruppenmitglied aufnehmen muss.

Das Aggressionspotenzial von Zoogruppen entspricht Weiches Studien zufolge dem von im Freiland lebenden Populationen. Bei den freundlichen Interaktionen hingegen wich das Verhalten der Zootiere deutlich von dem ihrer wilden Artgenossen ab: Weiche beobachtete Freundschaften zwischen Weibchen, wie man sie von Freilandgruppen nicht kannte. Im begrenzten Raum des Zoogeheges helfen sich manche Tiere gegenseitig und entwickeln Konfliktlösungsmechanismen, die Stress vermeiden helfen. Die Langzeitstudie ergab, dass freundliches Verhalten keineswegs nur kurzzeitig zur Bereinigung oder Vermeidung eines Konflikts auftritt. Vielmehr kam Weiche zu dem Schluss, dass die sozialen Beziehungen der Weibchen im Zoo den Charakter zeitlich unbegrenzter Freundschaften annehmen können und auch von strategischen Überlegungen motiviert sind. Ein Muttertier etwa suche vorzugsweise den Kontakt zu anderen Weibchen, die eigene Kinder haben oder gute kinderlose „Tanten“ sind oder die beim Silberrücken besonders in der Gunst stehen. Auch ein ähnlicher Status innerhalb der Gruppe und ein ähnliches Alter seien günstige Voraussetzungen dafür, dass eine Freundschaft zwischen weiblichen Tieren entsteht. „In diesem Punkt lassen sich eindeutig Analogien zu menschlichem Verhalten feststellen. Hier wie dort spielen Vorteile, die sich aus einer Freundschaft ergeben, eine Rolle“, kommentiert Iris Weiche. Menschliche Verhaltensweisen auch am Tier zu beobachten, fasziniert Wissenschaftler wie Laien gleichermaßen. „Die Vergleiche zwischen Mensch und Tier dürfen allerdings nicht zu weit gehen“, mahnt die Zoologin.

Im Gegensatz zum Freiland sind freundliche Interaktionen zwischen Weibchen im Zoo wesentlich häufiger und übersteigen nach Weiches Untersuchungen überraschenderweise auch die Freundlichkeiten mit dem Silberrücken. Die Studie lasse auf eine hohe Flexibilität von Verhaltenstaktiken oder -strategien schließen, mit der die Tiere in der Lage seien, sich unterschiedlichen Lebensumständen anzupassen: „Im Zoo können Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gruppe eine Intensität erlangen, wie sie im Freiland in der Regel nicht beobachtet wurde.“ Zwar bestätigt auch ihre Studie die wichtige Rolle des Silberrückens als Vermittlungsinstanz bei Konflikten, von der bislang in der Forschung ausgegangen wurde. „Darüber hinaus ergaben meine Untersuchungen jedoch, dass auch der Silberrücken auf die Unterstützung und Akzeptanz der Weibchen angewiesen ist“, resümiert die Biologin. Für Zoos können Weiches Ergebnisse von praktischem Nutzen sein. „Die bewusst eingegangenen freundlichen Beziehungen zwischen Gorillaweibchen bieten einen interessanten Ausgangspunkt für künftige Untersuchungen über das politisch-taktische Vorgehen der Tiere.“ (7439 Zeichen)

Nähere Informationen:
Dr. Iris Weiche
Zoologisches Institut
Physiologische Ökologie der Tiere
Auf der Morgenstelle 28
72076 Tübingen
Tel. 07071/29 73118
E-Mail: iris.weiche@uni-tuebingen.de

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Michael Seifert idw

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