Zauberkohle aus dem Dampfkochtopf

Der Erfolg liegt auf der Hand: Füllt man Biomasse, zum Beispiel Grünzeug, in ein Druckgefäß, gibt ein paar Brösel Katalysator dazu und erhitzt das Ganze unter Luftabschluss auf 180 Grad, erhält man nach zwölf Stunden das schwarze Pulver aus Kohle-Nanokügelchen. Bild: Norbert Michalke

Stroh, Holz, feuchtes Gras oder Laub über Nacht in Kohle umzuwandeln – das erinnert zunächst an den Stein der Weisen, mit dem die Alchemisten des Mittelalters mindere Stoffe zu Gold machen wollten. Doch es funktioniert tatsächlich: Markus Antonietti, Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich pflanzliche Biomasse ohne Umwege und komplizierte Zwischenschritte vollständig in Kohlenstoff und Wasser umarbeiten lässt. Das Verfahren – „hydrothermale Karbonisierung“ genannt – könnte die Grundlage für eine nachhaltige und umweltneutrale Energiewirtschaft liefern. Darüber berichtet die neueste Ausgabe des Wissenschaftsmagazins MaxPlanckForschung (2/2006).

Der Kohlenmeiler, den Markus Antonietti konstruiert hat, funktioniert im Prinzip wie ein Dampfkochtopf. Und das Kochrezept für Kohle ist verblüffend einfach: Das Druckgefäß wird mit beliebigen pflanzlichen Produkten gefüllt, also etwa mit Laub, Stroh, Gras, Holzstückchen oder Pinienzapfen. Dazu kommen noch Wasser und eine Prise Katalysator. Dann wird der Topf geschlossen und das Ganze unter Druck und Luftabschluss für zwölf Stunden auf 180 Grad erhitzt. Nachdem die Mischung abgekühlt ist, wird der Topf geöffnet: Er enthält eine schwarze Brühe – feinst verteilte kugelförmige Kohlepartikel in Wasser.

Sämtlicher Kohlenstoff, der in dem Pflanzenmaterial gebunden war, liegt nun in Form dieser Partikel vor, als kleine, poröse Braunkohle-Kügelchen: Sie können direkt oder (was effektiver wäre) in Brennstoffzellen verfeuert werden, aber auch zur Produktion von Benzin, Dieselöl oder anderen Chemikalien dienen. Da die hydrothermale Karbonisierung nicht schlagartig abläuft, lassen sich während des Prozesses außerdem interessante Zwischenprodukte gewinnen: Schon nach wenigen Minuten findet man in dem Druckgefäß eine Vorstufe von Erdöl, und während einer späteren Phase bildet sich reiner Humus.

Bestechend ist die Tatsache, dass all diese Umwandlungen ohne jeglichen Verlust an Kohlenstoff ablaufen, das Verfahren demnach mit hundertprozentiger Kohlenstoff-Effizienz arbeitet. Und dazu kommt noch, dass der Karbonisierungsprozess exotherm funktioniert, also selbst noch Energie liefert. Er ist damit allen anderen Methoden, aus Biomasse Energie zu ziehen, weit überlegen und könnte den Weg zu einer absolut umweltneutralen Energiewirtschaft eröffnen.

Was in Antoniettis Apparatur geschieht, die Bildung von Braunkohle, läuft auch in der Natur ab, dort allerdings ungleich langsamer, im Verlauf von Jahrmillionen. Diesen Prozess zu kopieren erforderte zunächst, ihn im Kern zu verstehen – auf molekularer Ebene, wie der Max-Planck-Direktor erläutert: „Pflanzliche Biomasse besteht letztlich aus Kohlenhydraten, aus Zuckerbausteinen, die sehr viel Energie enthalten. Es musste also gelingen, diese Zuckermoleküle in Kohlenstoff und Wasser zu zerlegen – in einem chemischen Prozess, der dann nicht nur Kohlenstoff als Energieträger liefert, sondern bei dem auch noch die in den Zuckermolekülen steckende Energie frei wird.“

Und weil dieser Prozess auch noch um einiges rascher als in der Natur ablaufen sollte, bedurfte es eines Katalysators, der die Aufspaltung der Zuckermoleküle in Kohlenstoff und Wasser um ein Vielfaches beschleunigte: In diesem Katalysator, der in kleinen Prisen dem Inhalt des Dampfkochtopfs zugesetzt wird, steckt das eigentliche Geheimnis der „Wunderkohle“ aus Potsdam. Zu wünschen bleibt nur noch, dass dieser Katalysator auch die Wende hin zu einer nachhaltigen und umweltneutralen Energiewirtschaft beschleunigen kann.

Eine ausführliche Version dieses Textes finden Sie im Fokus der neuesten Ausgabe von MaxPlanckForschung. Unter dem Titel „Energie“ berichten wir über umweltverträgliche und ressourcenschonende Forschung für die Zukunft: über Fusionskraftwerke, künstliche Fotosynthese und den besten Energiemix. Der Essay „Dem Alter eine neue Zukunft geben“ beleuchtet die demografische Entwicklung in Deutschland, die trotz des häufig entworfenen Szenarios einer alternden Gesellschaft keinen Grund für Horrorvisionen bietet, sondern vielfältige Chancen – etwa zur gleichmäßigeren Verteilung der Arbeit über den Lebenslauf. Außerdem finden Sie ein Porträt des Gesellschaftsforschers Jens Beckert, der die Mechanismen des Markts mit den Methoden der Neuen Wirtschaftssoziologie untersucht. Unter dem Titel „Schlafen im Tomografen“ lesen Sie eine Reportage darüber, wie das Gehirn im Nachtbetrieb arbeitet. Im Artikel „Wenn Gene fehl am Platz sind“ geht es um das Studium der Ursachen geistiger Behinderung, und der Beitrag „Das Weltgedächtnis der Wissenschaft“ widmet sich der Frage, wie man die Qualität der Forschung misst.

Dem Heft liegen ein BIOMAX („Mikroben schachmatt gesetzt“ – Forscher rüsten Tuberkulose-Impfstoff nach) sowie ein TECHMAX („Wunderlampe aus dem Quantenland“ – wie der Laser zur Alltagstechnik wird) bei.

MaxPlanckForschung erscheint viermal im Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Webformular abonniert werden. Der Bezug ist kostenfrei.

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de/

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