Der Kompass im Auge

Zugvögel legen jährlich tausende von Kilometern zurück, überqueren Kontinente, wenn sie zwischen Sommer- und Winterquartier wechseln. Die Tiere müssen sich auf ihrer langen Reise orientieren: sie fliegen bei Tag und in der Nacht, bei bedecktem Himmel, bei Sonnenschein, über Meere und Gebirge hinweg. Die Zugvögel orientieren sich dabei am Stand der Sonne und am Magnetfeld der Erde.

Dem Sitz dieser geheimnisvolle Magnetsinn ist ein Forscherteam am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften der Universität Oldenburg näher gekommen. Ebenso gelang es der Forschergruppe um Dr. Henrik Mouritsen gemeinsam mit amerikanischen Kollegen, ein Gehirnareal zu lokalisieren, das nur nachts aktiv ist und anscheinend die nächtliche Navigation von Zugvögeln koordiniert.

„Bei unseren Versuchen konnten wir zeigen“, so Mouritsen, „dass diese Moleküle dann bei Zugvögeln vorhanden sind, wenn das magnetische Steuersystem benötigt wird. Wir haben auch festgestellt, dass die Zellen, in denen diese Cryptochrome aktiv sind, während des magnetgesteuerten Orientierungsverhaltens mit dem Gehirn kommunizieren.“ Im Gehirn der Tiere entdeckten die Forscher darüber hinaus ein Gehirnareal, wo diese Informationen aus der Netzhaut vermutlich verarbeitet werden.

In Versuchen mit der Gartengrasmücke in speziell angefertigten Käfigen hatte das Oldenburger Team festgestellt, dass der heimische Singvogel, wenn er dem natürlichen Magnetfeld der Erde ausgesetzt war, etwa einmal pro Minute den Kopf zur Seite bewegte. Spürte er das Magnetfeld der Erde nicht mehr, nahm dieses Kopfschütteln deutlich zu. Die Wissenschaftler folgerten daraus, dass Zugvögel ihren Kompass im Kopf tragen und nach einem magnetischen Orientierungsmuster suchen, indem sie den Kopf bewegen.

Bestimmte Photorezeptoren in der Netzhaut der Vögel, so genannte Cryptochrome, reagieren auf das Magnetfeld. Diese besonderen Sehpigmente werden durch blaues und grünes Licht aktiviert und offensichtlich auch durch das Magnetfeld beeinflusst. Vier Vertreter der Cryptomchrom-Familie haben die Wissenschaftler um Mouritsen in der Netzhaut der Vögel identifiziert. Die Sehpigmente ermöglichen den Zugvögeln die „virtuelle Sicht“ des Magnetfeldes der Erde, so die Hypothese der Forscher. „Man muss sich das vorstellen wie eine vermutlich schwarz-weiße Zielscheibe ohne Ringe“, erklärt der dänische Wissenschaftler, „deren Helligkeit die Nord-Südachse widerspiegelt.“

„CRY1 fanden wir bei der Gartengrasmücke in Photorezeptoren und Ganglienzellen der Netzhaut, welche vor allem nachts aktiv waren, wenn die Vögel ihre magnetische Flugsteuerung nutzten.“ Auch der Vergleich mit nicht wandernden Singvögeln unterstützt die Bedeutung von CRY1 für die Navigation: die Ganglienzellen in der Retina der Gartengrasmücke produzieren Tag und Nacht große Mengen des Moleküls, die Netzhaut der nichtwandernden Zebrafinken hingegen nicht.

Wo im Gehirn werden die Informationen aus der Retina über das Magnetfeld der Erde verarbeitet? Auch diese Frage scheinen die Wissenschaftler um Mouritsen inzwischen beantworten zu können. Bei nachtwandernden Zugvögeln entdeckten Sie ein Gehirnareal, das nur nachts aktiv war. (Dazu hatten die Forscher die Aktivität bestimmter Gene bestimmt.) Bei Singvögeln, die nachts nicht wandern, konnten sie diesen als „Cluster N“ (N für Nacht-Aktivierung) bezeichneten Gehirnbereich hingegen nicht finden.

Auch bei den Zugvögeln schaltete sich dieser Bereich aus, sobald man den Tieren Augenklappen aufsetzte. Cluster N besteht aus mehreren Regionen und liegt in einem Bereich, wo im Vogelhirn Informationen vom Auge verarbeitet werden.

„Wir folgern daraus“, so Mouritsen, „dass Cluster N vermutlich die visuellen Wahrnehmungen mit dem Magnetsinn und der Sternenorientierung koppelt und so für das präzise Navigationssystem der Vögel im Nachtflug zuständig ist.“

ABSTRAKT Nr. S38.4

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Das Forum 2006 der Federation of European Neuroscience Societies (FENS) wird veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften und der Deutschen Neurowissenschaftlichen Gesellschaft. An der Tagung nehmen über 5000 Neurowissenschaftler teil. Die FENS wurde 1998 gegründet mit dem Ziel, Forschung und Ausbildung in den Neurowissenschaften zu fördern sowie die Neurowissenschaften gegenüber der Europäischen Kommission und anderen Drittmittelgebern zu vertreten. FENS ist der Europäische Partner der Amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (American Society for Neuroscience). Die FENS vertritt eine große Zahl europäischer neurowissenschaftlicher Gesellschaften und hat rund 16 000 Mitglieder.
Pressestelle während der Tagung:
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8. – 12. Juli 2006
Nach der Tagung:
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