In der Starrheit flexibel bleiben – Zelluläre Stützstrukturen vielseitiger als vermutet

Ein internationales Forscherteam, dem auch Professor Dr. Erwin Frey, Lehrstuhl für theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München angehört, konnte jetzt zeigen, dass Mikrotubuli bei zunehmender Länge steifer werden, wie die Autoren in der Online-Ausgabe von PNAS, den „Proceedings of the National Academy of Sciences“, berichten. Diese unerwartete Eigenschaft könnte bei der Entwicklung von Nanomaterialen genutzt werden, führt aber auch zu einem besseren Verständnis der Funktion von Mikrotubuli in der Zelle. Die Arbeit wurde von Forschern der LMU, des „European Molecular Biology Laboratory“ (EMBL) in Heidelberg und der University of Texas in Austin durchgeführt.

Tubulin ist eines der häufigsten Proteine in der Zelle. Bei Bedarf lagern sich diese Einheiten aneinander, um Mikrotubuli zu bilden, die in der Länge stark variieren. Ihre wichtigste Aufgabe erfüllen diese als eines von mehreren fadenförmigen Filamenten des Zytoskeletts. Dieses außerordentlich flexible Netzwerk aus Proteinen stabilisiert die Zelle und deren äußere Form. Mikrotubuli sind auch nötig für die Bewegung mancher Zellen, und dienen als Transportwege für zelluläre Frachten. Mikrotubuli haben einen Durchmesser von 25 Nanometer, also Millionstel Millimeter, und sind damit die dicksten Filamente des Zytoskeletts. „Wir haben jetzt zu unserer eigenen Überraschung festgestellt, dass sie mit zunehmender Länge starrer werden“, so Frey. „Das stellt die bisherigen Ansichten über die mechanischen Eigenschaften der Mikrotubuli völlig auf den Kopf.“

Die Wissenschaftler in Austin und Heidelberg untersuchten die Steifheit und Länge zellulärer Mikrotubuli mit Hilfe so genannter „single-particle tracking“-Techniken. Damit wird die Bewegung individueller, mikroskopisch kleiner Teilchen verfolgt, die selbst wiederum an die eigentlich interessanten Moleküle oder Proteine gebunden sind. In diesem Fall hängten die Forscher an die Spitzen unterschiedlich langer Mikrotubuli jeweils eine fluoreszierende Perle. Dieses Filamentende war frei in Flüssigkeit beweglich, während das andere fixiert war. Die Bewegung der Perlen wurde verfolgt und analysiert, so dass über diese Werte auf die Steifheit der einzelnen Mikrotubuli rückgeschlossen werden konnte.

Die von Erwin Frey und seinen Mitarbeitern durchgeführte mathematische Analyse zeigte dann, dass die einzigartigen Eigenschaften der Mikrotubuli auf deren biologische Konstruktion zurückzuführen sind. Die Filamente sind aus einzelnen Tubulin-Proteinen aufgebaut, die so aneinander binden, dass die Mikrotubuli flexibel und steif sein können. „Die Flexibilität ist wichtig für die Mikrotubuli, wenn sie wachsen und sich in der Zelle verändern“, so Frey. „Eine gewisse Starrheit ist aber nötig, wenn die Zelle gestützt werden muss.“ Mikrotubuli sind damit optimal für ihren Einsatz gerüstet: Sie bieten ein Maximum an mechanischer Stabilität bei minimalen Kosten für die Zelle. Sie können extrem gebogen werden, ohne dabei zu brechen oder zu kollabieren. „Das ist aber ein universelles Konstruktionsprinzip“, so Frey. „Es kommt auch bei anderen hierarchisch aufgebauten, faserartigen Strukturen in biologischen Systemen zur Anwendung.“

Ansprechpartner:

Professor Dr. Erwin Frey
Statistische und Biologische Physik am Arnold Sommerfeld Center
for Theoretical Physics der LMU
Tel.: 089-2180-4538
E-Mail: frey@lmu.de

Media Contact

Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-muenchen.de/

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