Frühwarnsystem Frosch

Sehen aus wie Fische, sind aber Froschlarven: Die abgebildeten Tiere konnten sich nicht in Frösche verwandeln, weil ihr Hormonsystem durch Chemikalien gestört wurde. Foto: R. Günther

Unbeeindruckt von den neugierigen Blicken hunderter Menschen paddeln winzige Fröschlein in dem kleinen Aquarium. Daneben stehen weitere Glasbehälter, einer enthält zwei faustgroße Frösche, der andere kleinfingerlange Tiere, die mit ihren Fühlern am Maul aussehen wie winzige Welse. Doch es sind Froschlarven, die zwar wachsen, sich aber nicht in Frösche verwandeln werden. Ihr Hormonsystem spielt verrückt, weil es Chemikalien ausgesetzt wurde, mit denen auch Menschen in Berührung kommen.

Werner Kloas, Professor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, hält diese Tiere allerdings nicht wegen des Schaueffekts bei Events wie der Langen Nacht der Wissenschaften. Vielmehr gilt sein Interesse den hormonellen Störungen, die durch Umweltchemikalien ausgelöst werden können. Die Amphibien – es handelt sich um südafrikanische Krallenfrösche – reagieren äußerst sensibel auf Substanzen, die man als endokrin wirksam oder englisch als „endocrine disruptors“ (ED) bezeichnet. Diese Eigenheit der Frösche hat sich die Gruppe um Kloas zunutze gemacht und einen Test entwickelt, mit dem Chemikalien auf ihre hormonelle Wirksamkeit getestet werden können. Der Test soll Standard in den OECD-Ländern werden und befindet sich derzeit in der zweiten Validierungsphase.

Vereinfacht gesagt beobachten die Forscher zwei Gruppen von gleichalten Froschlarven. Ein Teil der Kaulquappen wird der zu testenden Substanz ausgesetzt, der andere dient als Kontrollgruppe. Je nach dem, wann – oder ob überhaupt – die Metamorphose zum Frosch einsetzt, lassen sich Aussagen über die hormonelle Wirksamkeit der Testsubstanz treffen. „Es geht in erster Linie um das Schilddrüsensystem“, erläutert Kloas, „denn die Schilddrüsenhormone steuern bei den Fröschen die Metamorphose.“

Die Wissenschaftler testen Stoffe, die nicht oder nur sehr gering giftig sind, die aber das Hormonsystem von Wirbeltieren beeinflussen. Zu diesen Stoffen zählen Agrochemikalien, Medikamentrückstände oder bestimmte Kunststoffe. In der EU gibt es eine Initiative namens REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals), in deren Rahmen Substanzen auf mögliche Gesundheits- und Umweltwirkungen getestet werden, die schon lange in Gebrauch sind und daher nicht mehr aufwendigen Prüfbestimmungen unterliegen. Es handelt sich gleichsam um eine neue Begutachtung des Altbestandes – mehr als 100.000 Chemikalien, die schon vor 1981 auf dem Markt waren. Die Untersuchungen sollen zum Beispiel klären helfen, welche Umweltchemikalien negative Einflüsse auf das Schilddrüsensystem auch beim Menschen haben.

Wieso nimmt man dafür ausgerechnet Kaulquappen und nicht Säugetiere als Versuchsobjekte? „Vor allem, weil die Froschlarven extrem sensibel sind“, erläutert Kloas. Schon geringste Mengen von Wirkstoffen reichten aus, um das Hormonsystem der Amphibien durcheinander zu bringen. „Ratten beispielsweise tolerieren kleinere Schwankungen von Schilddrüsenhormen ebenso wie Menschen, da lassen sich keine Auswirkungen messen.“ Hinzu kommt, dass der Test mit den Kaulquappen sehr einfach durchzuführen ist: Es reicht der Augenschein, komplizierte Bluttests oder Gewebeuntersuchungen sind nicht nötig.

Außerdem gibt es eine Art Nebeneffekt, der für die Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei besonders interessant ist: „Mit den Froschlarven können wir auch Gewässer testen, etwa die Ausläufe von Kläranlagen“, sagt Kloas. Denn selbst die gründlichste Reinigung von Abwässern vermag kaum die Medikamentenrückstände zu entfernen, die über Ausscheidungen in die Kanalisation gelangt sind. In vielen Flüssen und Seen, auch in der Region Berlin, gibt es bereits Tendenzen zur Verweiblichung von Fisch- oder Weichtierpopulationen. „Und kürzlich haben wir Wasser aus einem Fluss in Italien getestet, das enorm hoch mit endokrin wirksamen Substanzen belastet war und innerhalb von 4 Wochen zu Verweiblichungs- bzw. Entmännlichungsphänomenen bei unseren Krallenfröschen geführt haben“, berichtet Kloas.

Müssen sich die Berliner nun Sorgen machen, wenn sie in den hiesigen Gewässern baden oder Wasser aus der Leitung trinken? „Nein“, sagt Kloas. „Wir können zwar hormonell wirksame Substanzen nachweisen, aber nach allem, was wir wissen, können die so gemessenen Konzentrationen den menschlichen Organismus nur durch Baden nicht nachhaltig schädigen, da sie nur in geringen Mengen aufgenommen werden, während bei den wasserlebenden Tieren endokrine Störungen durchaus zu erwarten sind. Im Trinkwasser generell sind solche endokrin wirksamen Stoffe nur in gerade nachweisbaren Spuren gefunden worden, die bisher noch unter einer biologisch nachweisbaren Menge liegen. Deshalb ist unser Berliner Leitungswasser nach wie vor von hoher Qualität und ohne Bedenken für die Gesundheit zu genießen. Eine Gefährdungspotenzial für den Menschen stellen endocrine disruptors eher bei der Aufnahme durch Nahrungsmittel dar.“

Weitere Infos bei
Prof. Dr. Werner Kloas,
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Tel.: 030 / 6 41 81 630 (werner.kloas@igb-berlin.de)

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