Internationale Experten diskutierten optimale Anwendung von Intravenösen Immunglobulinen

Mehr als 150 Teilnehmer diskutierten am Freitag und Samstag, 23. und 24. November 2001, im Paul-Ehrlich-Institut in Langen im Rahmen eines internationalen Symposiums die optimale Anwendung intravenöser Immunglobuline. Immunglobuline sind die Stoffe, die unser Immunsystem zur Abwehr fremder Erreger bildet (Antikörper). Die aus Blutplasma gewonnenen Produkte werden zum Beispiel bei Patienten eingesetzt, die auf Grund ihrer Erbanlagen nicht in der Lage sind, selbst Antikörper zu bilden. Herausragende Themen der Tagung waren der sogenannte ’Off-Label-Use’, also die Anwendung dieser Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikationen, sowie Fragen der Nutzen-Risiko-Abwägung, insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit dieser Produkte und die Kostenoptimierung im Gesundheitswesen. „Ich freue mich, dass Experten aus Deutschland, Europa und auch den USA den Weg nach Langen gefunden haben.“ sagte Prof. Johannes Löwer, der Präsident des Instituts. „Ich begrüße es sehr, dass Vertreter der Krankenkassen, der zulassenden Behörden und der Industrie, sowie behandelnde Ärzte und Vertreter von Selbsthilfegruppen hier in Langen diese wichtige Thematik diskutieren“.

Im Zusammenhang mit dem ’Off-Label-Use’ steht die Behandlung der Multiplen Sklerose mit Immunglobulinen immer wieder im Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, Dr. Klaus Theo Schröder, betonte in seinem Grußwort die Notwendigkeit, eine Antwort auf die Frage zu erhalten, inwieweit eine Immunglobulinbehandlung bei dieser Erkrankung sinnvoll und wirksam sein kann: „Es ist höchste Zeit, sich mit der Frage zu befassen, warum es bisher keine Zulassung für Immunglobuline mit der Indikation Multiple Sklerose gibt“, so Schröder. Der Staatssekretär betonte jedoch auch den Stellenwert der Immunglobuline insgesamt, die heute sicherlich zu den innovativsten Präparaten innerhalb der Gruppe der Blutprodukte gehören.

In einer sehr interessanten Abfolge von Vorträgen namhafter Experten wurden die verschiedenen Facetten der Anwendung von Immunglobulinen präsentiert. So gab es Darstellungen zur Charakteristik der zugelassenen Produkte, zu den Grundlagen der Zulassung eines neuen Produktes, zur Sicherheit der Produkte im Hinblick auf vCJD, zum wissenschaftlichen Hintergrund der Indikationen sowie zur Wirkweise dieser Produkte. Einer der Ausgangspunkte der Diskussion war die Einschätzung, dass die intravenösen Immunglobuline die Arzneimittel mit dem höchsten Anteil an „Off-label“-Verschreibungen sind. Dabei stellt gegenwärtig die Multiple Sklerose unabhängig von ihrer Verlaufsform die Hauptanwendung dar, wobei die Verschreibungspraxis der neurologischen Zentren sehr unterschiedlich ist.

Einen der Schwerpunkte des Programms bildeten daher die neurologischen Anwendungen. Neben der Präsentation des klinischen Hintergrunds der Multiplen Sklerose, der Myasthenia Gravis sowie der akuten und chronischen Verlaufsformen des Guillain Barré-Syndroms, wurden die Studien diskutiert, die bislang hierzu publiziert wurden. Mit Spannung wurden die Ergebnisse einer kürzlich abgeschlossenen Studie zur Anwendung von Immunglobulinen in der sekundär-progressiven Multiplen Sklerose, erwartet. Prof. Otto Hommes, der Vorsitzende der Europäischen Charcot Foundation zur Koordination der Multiplen Sklerose Forschung, zeigte, dass das Fortschreiten der Erkrankung durch die Immunglobulin-Anwendung nicht gebremst wird. Damit wurden die in diese Studie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. Es wurde erneut deutlich, dass bislang durchgeführte Studien Anlass zu kontroverser Diskussion geben. Aus ärztlicher Praxis liegen jedoch Erfahrungen vor, die der Empfehlung der Fachgesellschaft zugrunde liegen, wonach Immunglobuline in der Multiplen Sklerose als Medikament anwendbar sind, wenn andere Medikamente nicht wirken oder kontraindiziert sind.

Ein weiteres Ergebnis der Diskussionen auf dem Symposium war, dass sowohl bislang publizierte Studien als auch die Ergebnisse jüngst abgeschlossener Studien die Aufnahme der Sepsis, also der Blutvergiftung, in die Liste der anerkannten Indikationen der Immunglobuline nicht begründen. Es wurde betont, dass in der Behandlung der Sepsis mit Immunglobulinen keine deutliche Verbesserung der Situation zu erwarten wäre.

Im Ergebnis waren sich alle Beteiligten einig, dass eine kritische Betrachtung der zugelassenen als auch der „Off-Label“ Indikationen nötig ist. „Dies ist jedoch nur zu erreichen, indem Einigkeit über anerkannte Indikationen hergestellt wird, Überlegungen zur Schaffung einer konzertierten Darstellung klinischer Erfahrungen angestrebt und weitere klinische Studien durchgeführt werden,“ betonen Dr. Jaqueline Kerr und Dr. Gabriele Schäffner vom Paul-Ehrlich-Institut, die die Tagung organisiert haben. Dabei müssten die medizinischen Fachgesellschaften, Patientengruppen, Industrie, Krankenversicherer und Zulassungsbehörden sowohl aus Deutschland als auch aus anderen EU-Mitgliedsstaaten bei der Fortführung der Diskussion beteiligt werden.

Media Contact

Dr. Susanne Stöcker idw

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