Der Duft, auf den die Weibchen stehen

Der Dreistachlige Stichling: Modellorganismus für die Partnerwahl. Hier ein Männchen im roten Balzkleid. <br><p> <br>Foto: Max-Planck-Institut für Limnologie/Dirk Semman <br>

Max-Planck-Wissenschaftler enthüllen Strategien der Partnerwahl bei Stichlingen / Schlüssel zum Verständnis immungenetischer Vielfalt

Alle höheren Organismen sind Parasiten und Krankheitserregern ausgesetzt. Sie erfolgreich abwehren zu können, ist eine Voraussetzung zum Überleben. Bei der Wahl eines Partners sollten Weibchen daher jene Männchen bevorzugen, deren genetische Ausstattung sie als besonders abwehrfähig ausweist. Eine möglichst große Anzahl verschiedener Immungene, so genannter MHC-Gene, könnte ein Kriterium sein; denn damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachkommen gegen eine größere Zahl von Krankheiten resistent sind. Thorsten Reusch, Michael Häberli, Pierre Aeschlimann und Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön ist es gelungen, diese Annahme erstmals in Experimenten mit dreistachligen Stichlingen zu beweisen. Wie sie in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Nature vom 15. November 2001 berichten, „zählen“ die Stichlingsweibchen quasi geruchlich die Gen-Varianten (Allele) der Männchen und wählen dann jene aus, die möglichst viele verschiedene Varianten von Immungenen aufweisen. Dieses Forschungsergebnis liefert gleichzeitig eine Erklärung dafür, warum es in natürlichen Populationen eine so ungeheure Vielfalt von MHC-Genen gibt.

Die Mehrzahl aller Organismen sind Krankheitserreger oder Parasiten – allein diese Tatsache verdeutlicht, wie entscheidend für alle Tierarten eine erfolgreiche Immunabwehr ist. Bei Wirbeltieren spielen Gene des MHC, des Haupthistokompatibilitätskomplexes (= major histocompatibility complex) eine wichtige Rolle beim Erkennen von Krankheitserregern: Nur ganz bestimmte Gen-Varianten (= Allele) binden bestimmte Proteine, die von Krankheitserregern und Parasiten stammen, und signalisieren damit den Abwehrzellen des Organismus deren Anwesenheit. Auf der Basis dieses Erkennungsmechanismus wird die Immunabwehr gestartet. Die Vielgestaltigkeit von MHC-Genen (Polymorphismus) ist seit langem bekannt: Beim Menschen gibt es oft mehr als 100 Allele an einem MHC-Genort. Dieser Polymorphismus wird auf die hohe Veränderlichkeit von Krankheitserregern zurückgeführt. Er unterwirft den „Erkennungsdienst“ der Organismen, d.h. das MHC-System, einem immer wieder wechselnden Selektionsdruck. Sexuelle Fortpflanzung und die damit verbundene Partnerwahl könnten bei vielen Tierarten und auch dem Menschen einen Weg darstellen, den Nachkommen möglichst unterschiedliche Immun-Allele mitzugeben und damit die „genetische Fitness“ zu steigern.

Den Max-Planck-Wissenschaftlern ist es nun erstmals gelungen, einen Zusammenhang zwischen der Partnerwahl und dieser Vielgestaltigkeit von Immungenen herzustellen. In ihren Experimenten präsentierten sie Stichlingsweibchen in einem Strömungskanal das Wasser aus den Aquarien von verschiedenen Testmännchen. Die Forscher machten sich hierbei die Erkenntnis zunutze, dass Männchen mit unterschiedlicher MHC-Ausstattung auch einen unterschiedlichen „Duft“ verströmen, der im Wasser zunächst bestehen bleibt. Die Testmännchen waren zuvor nach ihrer Ausstattung mit Immungenen aufgeteilt worden, so dass die Weibchen jeweils zwischen einem Männchen mit vielen und einem mit wenigen MHC-Allelen wählen konnten. Im Experiment konnte das laichbereite Weibchen die Männchen nicht sehen, sondern bekam lediglich das Wasser aus den verschiedenen Aquarien geboten und konnte sich dann zwischen zwei Seiten eines Strömungskanals entscheiden. Die Forscher werteten nun die Aufenthaltsdauer auf jeder Seite des Strömungskanals per Video aus – und kamen zu dem Ergebnis, dass die Weibchen den Geruch von Männchen mit einer größeren Anzahl von MHC-Allelen bevorzugten, sie „zählten“ quasi geruchlich die Zahl der MHC-Varianten (das verhaltensauslösende Duftbouquet ist bislang übrigens nicht bekannt).

Solche MHC-korrelierten Partnerpräferenzen sind bereits in Versuchen mit Nagetieren nachgewiesen worden. Doch wurde in diesen Versuchen nicht die Präferenz für weniger oder mehr MHC-Allele untersucht, sondern die Bevorzugung von unterschiedlichen gegenüber gleichen MHC-Genotypen. Die Max-Planck-Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass eine solche Strategie bei der Partnerwahl nur für Tierarten von Bedeutung ist, welche durch enge Familienstrukturen Gefahr laufen, sich mit Verwandten zu paaren. Diese Erklärung greift jedoch nicht beim Stichling, und vermutlich auch nicht bei vielen anderen Wirbeltieren; denn wegen der hohen Zahl von MHC-Varianten, die in frei lebenden Populationen von Stichlingen zu finden sind, ist das Risiko, auf denselben Genotyp zu treffen, kleiner als 1%.

Das in der vorliegenden Nature-Publikation beschriebene Partnerwahl-Verhalten des Stichlings liefert jetzt den Schlüssel, um den Polymorphismus bei den MHC-Genen in natürlichen Populationen zu erklären. Und auch beim Menschen gibt es Zusammenhänge zwischen der Geruchsbevorzugung und den MHC-Genen der potentiellen Partner. Ob wir jedoch – ähnlich wie der Stichling – dazu in der Lage sind, Immun-Allele zu „zählen“, ist noch offen.

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Dr. Thorsten Reusch Presseinformation

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