Lebende Urzeitkrebse in der Ammendorfer Elster-Saale-Aue wiedergefunden

Feenkrebs Eubranchipus grubei. Aufnahme: Wolf-Rüdiger Große

Dabei handelt es sich um den Schuppenschwanz (Lepidurus apus) und den Feenkrebs (Eubranchipus grubei). Sensationell an ihnen ist neben ihrer Seltenheit ihr Alter. Beide Arten gibt es seit etwa 200 Mio. Jahren auf der Erde und sie gelten damit als älteste Tierarten überhaupt. Seit dem Erdmittelalter besiedeln sie temporäre Kleinstgewässer des zeitigen Frühjahrs und sind verschwunden, wenn die Fressfeinde des Sommers auftauchen. Diese Strategie hat sie Millionen Jahre überleben lassen.

Ihr Nachweis in den wiederintakten halleschen Auen stellt einen Beweis der Regenerationsfähigkeit unbelasteter Natur dar. Wer sie in Pfützen oder Spurrinnen findet, sollte es den Zoologen der Universität mitteilen, da ihre Verbreitung wissenschaftlich erfasst wird.

In einer Sonderschau zur Tierwelt des Saaletals werden die Krebse zur Museumsnacht am 20. Mai 2006 im Institut für Zoologie zu sehen sein (s. u.).
Weitere Informationen zu den Arten

Der Schuppenschwanz (Lepidurus apus)

Die Großbranchiopoden oder Urzeitkrebse sind wenig bekannt. Sie zählen phylogenetisch zu den ursprünglichsten und auch paläontologisch zu den ältesten Krebsen. Die Kiemenfüße existieren bereits seit etwa 200 Millionen Jahren und stellen damit wahrscheinlich die ältesten Tierarten der Erde überhaupt dar. Sie werden volkstümlich Urzeit-, Eiszeit- oder Himmelskrebse genannt. Die biologische Systematik stellt den Schuppenschwanz, Lepidurus apus, in die Ordnung der Rückenschaler (Notostraca), die zur Klasse der Kiemenfußkrebse (Branchiopoda) gehört.

Der Schuppenschwanz fällt durch sein 20-30 mm langes flaches Rückenschild sofort auf. Der Hinterleib der Krebse ragt frei unter dem Rückenschild hervor und ist oberseits mit schuppenartigen Chitinplatten besetzt. Das Schwanzsegment ist zu einer langen dünnen Gabel (Furca) ausgezogen.

Die Schuppenschwänze sind Bodenbewohner. Bei Sauerstoffmangel kann es vorkommen, dass sie mit der Bauchseite nur knapp unter der Wasseroberfläche schwimmen. In dieser Lage kann man deutlich die ständig schlagenden Kiemenfüße sehen. Notostraken sind Allesfresser. Mit Hilfe der Vorderkante ihres Schildes wühlen sie den Boden nach Nahrung auf, die sie mit Hilfe ihrer kräftigen Kiefer aufnehmen und zerkleinern. Daneben können sie auch Plankton filtern. Bei Massenvorkommen kommt es zum Kannibalismus.

Lepidurus apus ist in unserer Region eine charakteristische Kaltwasserart des Frühjahrs. Bereits im Januar/Februar beginnt teilweise noch unter dem Eis die Entwicklung der Krebse. Der Verbreitungsschwerpunkt der Art liegt in den Auen größerer Flüsse. Die Krebse besiedeln hier zeitweilig wasserführende Bodenhohlformen, die von Altarmen ehemals mäandernder Flüsse stammen. Die Eier der Krebse sind etwa einen halben Millimeter groß und glattschalig. Sie überdauern im Boden liegend Jahre oder Jahrzehnte.

International wie national ist bisher wenig über Schutzmaßnahmen für diese interessante Krebsart bekannt. Es besteht die Gefahr, dass diese "lebenden Fossilien" nach 200 Millionen Jahren Erdendasein nun unwiederbringlich verschwinden. Der hohe Stellenwert der Tiere in der evolutiven Forschung geht im Alltag unter. Sie sind wichtige Bioindikatoren, aus deren Vorhandensein auf biologische oder physikalische Parameter eines Habitats geschlossen werden kann. Sie sollten weit mehr als "Flagship species" im engagierten Umwelt- und Naturschutz genutzt werden, wie es vom Panda-Bären oder vom Fischadler bekannt ist.

Der Feenkrebs (Eubranchipus (Siphonophanes) grubei)

Die Feenkrebse sind eine charakteristische Leitform zeitweiliger (astatischer) Gewässer. Sie gehört zu der Klasse der Kiemenfußkrebse (Branchiopoda) und in die Ordnung der Feenkrebse (Anostraca). Sie sind in ihrer Form seit dem Erdmittelalter (Jura) bekannt. Ihr Körper ist seitlich abgeflacht und ihnen fehlt das Rückenschild der Notostraken. Die bis 30 mm langen Krebse sind transparent und schimmern gelblich bis grünlich.

Feenkrebse schwimmen im freien Wasser mit der Bauchseite nach oben. Die sich ständig bewegenden dünnhäutigen Blattbeine vermitteln dem Beobachter den Eindruck eines durch das Wasser schwebendes Fabelwesen. Durch diese Bewegungen erfolgt der Ortswechsel, die Atmung und Ernährung der Tiere. So filtern sie Mikroorganismen und organische Schwebstoffe aus dem Wasser und transportieren die Nahrung in der Bauchrinne nach vorn zur Mundöffnung. Die Färbung der Feenkrebse ist stark von der Art der Nahrung abhängig.

Eubranchipus (Siphonophanes) grubei kommt in zweigeschlechtlichen Populationen vor. Einzelbeobachtungen parthenogenetisch sich vermehrender Vorkommen sind umstritten. Das Männchen hat auffällig geformte Anhänge an den 2. Antennen, die zur Umklammerung des Weibchens bei der Paarung dienen. Die Weibchen tragen am 1. und 2. Hinterleibsring einen Eisack. Die Eischalen besitzen artspezifische Strukturen. Nachdem die Elterntiere bald nach der Paarung absterben, überlebt die Art als Dauerei am Gewässergrund über Jahre. Die Entwicklung wird meist stimuliert durch Austrocknung und Frost wieder einsetzen, wenn die Temporärgewässer im Frühjahr wieder geflutet sind.

Der Lebensraum des Siphonophanes grubei sind temporäre Gewässer. Das können im zeitigen Frühjahr Schmelzwassersenken und Pfützen ebenso wie periodisch wasserführende Altarmbereiche der großen Flußauen sein. Aufgrund ihrer speziellen Physiologie und raschen Entwicklung haben sie sich an diese Extremstandorte ideal angepasst. In warmen Frühjahren kann die Entwicklung von der frisch geschlüpften Naupliuslarve bis zum geschlechtsreifen Tier in 8 Tagen abgeschlossen sein. Das erschwert die Nachweise in der freien Natur beträchtlich. Sie wird einfach übersehen und fällt bei Eingriffen in die Landschaft gar nicht auf. Beim Erhalt der Art kommt dem praktischen Naturschutz damit eine besondere Bedeutung zu. Die Tiere müssen bekannt gemacht werden. Nur was der Mensch kennt, schützt er auch. Sonst sind die Feenkrebse, nachdem sie 200 Millionen Jahre überstanden haben, bald verschwunden.

Technische Daten Sonderschau Tiere des Saaletals
Termin: Sonnabend, den 20. Mai 2006
Ort: Konferenzraum des Instituts für Zoologie, Domplatz 4,
Einlass: ab 18.00 Uhr fortlaufend

Wissenschaftliche und technische Leitung: PD Dr. Wolf-Rüdiger Große,
Tel.: 0345 55-26438, Fax: 0345 55-27152,
E-Mail: wolf.grosse@zoologie.uni-halle.de

Media Contact

Dr. Margarete Wein idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-halle.de

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