Moleküle per Handschlag begrüßen

Nervenzellen unter dem Fluoreszenzmikroskop. Über vielzählige Kontaktstellen (Synapsen; in grün) senden sie Botschaften zu ihren Nachbarzellen. (c) V. Haucke / Freie Universität Berlin

Nervenzellen können bis zu 200 Mal in einer Sekunde feuern – wie diese Ausdauerleistung im Einzelnen zustande kommt, erforscht ein Team am Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin


Es klingt noch immer wie ein wenig wie Science Fiction: Ein Forscher möchte wissen, was im Inneren des Menschen vor sich geht, und dafür blickt er einfach mit einem wundersamen Gerät in dessen Körper. Er durchleuchtet die Zellen, zoomt einzelne Moleküle heran und beobachtet ihre Bewegungen. Tatsächlich ist der Forscheralltag der Utopie schon verblüffend nahe gekommen. Wenn Volker Haucke in einem Kellerraum des Instituts für Chemie und Biochemie an der Freien Universität Berlin in sein Fluoreszenz-Mikroskop blickt, dann kann er das molekulare Geschehen in lebenden Zellen beobachten: „Wir können die Moleküle quasi mit Handschlag begrüßen“, so beschreibt der Zellbiologe seine Forschung. Der Trick besteht darin, bestimmte Moleküle gezielt mit einem fluoreszierenden Farbstoff zu markieren, der sie in ihrer normalen Funktion aber keineswegs behindert. Bestrahlt man dann Zellen, die in einer Nährlösung schwimmen, mit Licht einer bestimmten Wellenlänge, dann leuchten die Moleküle auf und senden Licht von einer anderen Farbe zurück.

Die Mikroskope sind inzwischen so empfindlich, dass die besten unter ihnen auf diese Weise sogar einzelne Moleküle erspähen können. Selbst Filmaufnahmen sind mit der Technik möglich. Die Geräte ermöglichen den Blick auf ein Gewimmel von Tausenden verschiedener Eiweißstoffe – jeder einzelne hat seine lebenswichtige Aufgabe in der komplizierten chemischen Choreographie der Zellen, die ganze Organismen und letztlich denkende, fühlende Wesen entstehen lässt. Haucke hat mit seinem jungen Team auf diese Weise gerade einen neuen Akteur entdeckt: Das Molekül „Stonin 2“ trägt dazu bei, dass Nervenzellen dauerhaft Reize weiterleiten können, ohne bei längerer Beanspruchung zu ermüden. Ein ähnliches Molekül kennt man bereits bei Fruchtfliegen – wenn bei ihnen das Eiweißmolekül „Stoned“ durch eine Mutation defekt ist, dann erstarren die Fliegen unter bestimmten Bedingungen wie versteinert.

Stonin 2 findet man beim Menschen vor allem im Gehirn und dort gehäuft im Hippocampus, einer Hirnregion, die für Lernen und Gedächtnis zuständig ist. Was das Molekül dort aber genau bewirkt, war bislang unklar. Jetzt ist Volker Haucke in Zusammenarbeit mit Jürgen Klingauf vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen der entscheidende Schnappschuss gelungen, und er hat damit Licht in einen bislang noch nicht genau verstandenen Vorgang bei der Entstehung von Nervenimpulsen gebracht.

Jede der hundert Billionen Nervenzellen des Gehirns bildet an bis zu 10.000 Stellen Kontakte zu anderen Zellen aus. An diesen Kontaktstellen, den Synapsen, berühren sich die Zellen beinahe, aber nicht ganz – zwischen ihnen bleibt ein winziger Spalt. Ein ankommendes elektrisches Signal muss hier in eine chemische Botschaft übersetzt werden. Die Nervenzelle schüttet Neurotransmitter aus, die von den Nachbarzellen erkannt werden. Die Botenstoffe befinden sich zunächst in winzige Bläschen verpackt im Inneren der Zelle. Bei einem Signal verschmelzen die Bläschen mit der Außenhaut der Zelle und stülpen gleichsam ihr Inneres nach außen. Diese Verschmelzung wird unter anderem durch ein Eiweißmolekül namens Synaptotagmin vermittelt, das in der hauchdünnen Membran sitzt, aus der die Bläschen gebildet sind. Das Problem dabei: Nervenzellen können im Abstand von fünf Millisekunden Signale senden, und jedes Mal läuft der gleiche Prozess aufs Neue ab. Schon bald wären alle mit Neurotransmittern gefüllten Bläschen erschöpft.

Die Lösung besteht in einem flotten Recycling-Prozess: Im gleichen Maße wie die Bläschen aus dem Inneren der Zelle mit der Zellmembran verschmelzen, so schnüren sie sich auch wieder ab, wandern zurück und werden neu befüllt. Praktisch dabei ist, dass auch das nötige Synaptotagmin dabei wieder eingesammelt wird, und an dieser Stelle kommt der von Haucke entdeckte Einsatz des Stonin 2. Im Inneren der Zelle bindet es gezielt an das in der Außenhaut gestrandete Synaptotagmin und beschleunigt damit den Recyclingprozess. „Der ganze Kreislauf dauert nicht länger als 60 Sekunden“, so Haucke, „wir betrachten da ein Fließgleichgewicht, das schnell und dabei hochselektiv arbeitet.“ Als nächstes möchte Haucke herausfinden, welche Rolle Stonin 2 beim Denken spielt. Ohne Synaptotagmin können Säugetiere nicht überleben, und selbst kleine Defekte können beim Menschen schon zu motorischen Störungen oder Schizophrenie führen. Die Rolle von Stonin 2 scheint subtiler. „Vielleicht wäre ein menschliches Gehirn ohne Stonin 2 bei intensiven Reizen schneller überlastet, vielleicht gäbe es auch epileptische Anfälle“, spekuliert Haucke. Das Rätsel der höheren Denkvorgänge ist ein noch lange nicht gelöstes Puzzle – mit Stonin 2 sind die Forscher auf ihrem langen Weg aber einen Schritt vorangekommen.

Literatur:
M. K. Diril, M. Wienisch, N. Jung, J. Klingauf, V. Haucke: „Stonin 2 is an AP-2-dependent endocytic sorting adaptor for synaptotagmin internalization“, in Dev. Cell 10 (Feb 2006), S. 233-244

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Prof. Dr. Volker Haucke, Institut für Chemie der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838-56922, E-Mail: vhaucke@chemie.fu-berlin.de

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