Innovative biotherapeutische Wundtextilien

Neue Chancen für die Textilbranche

Dr. Dirk Höfer, Prof. Dr. Josef Kurz
Hohensteiner Institute, Bönnigheim

Obwohl in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte im Verständnis der Entstehung von Wundheilungsstörungen zu verzeichnen sind, hält die Wundversorgung im heutigen Alltag damit nicht Schritt. Eine steigende Zahl älterer Menschen und Diabetiker sorgt für steten Nachschub an Problemwunden: Allein in Deutschland gibt es jährlich schätzungsweise zwei Millionen Wundpatienten zu versorgen. Das Problem wird durch die zunehmende Antibiotikaresistenz von Wundkeimen dramatisch verschärft. Neben chronischen Wunden nimmt auch die Zahl der Hautkrankheiten weiter zu. Sie führen mit Abstand die Liste der häufigsten Berufskrankheiten an. Bei der Behandlung von Wunden und Hautkrankheiten versagen die typischen Standardbehandlungen immer öfter, so dass nach alternativen Therapien und Behandlungstechniken gegenwärtig dringend gesucht wird. Für innovative Textilunternehmen bieten sich hier interessante neue Arbeitsgebiete.

Eine zentrale Rolle in der zukünftigen Behandlungstechnik bei der Wund- und Hautbehandlung werden sicherlich innovative Medizintextilien spielen, z. B. um durch Abgabe von Wirkstoffen Wunden und Hautinfektionen zum Heilen anzuregen. Neue Wege in der Therapie chronischer Wunden und Hautkrankheiten geht auch die Biotherapie. Bei diesem traditionsreichen und bewährten Teilgebiet der Medizin und der wissenschaftlichen Forschung erfolgt die Behandlung mit lebenden Organismen. Die molekularen Grundlagen der Biotherapie werden derzeit durch neue Erkenntnisse der Biotechnologie und Gentherapie erforscht. Die faszinierenden Arbeitsgebiete der innovativen Wundtextilien und Biotherapie sind Gegenstand intensiver Untersuchungen am Institut für Hygiene und Biotechnologie (IHB) der Hohensteiner Institute, an denen unlängst auch die „Gesellschaft für biologische Therapie e.V.“ gegründet wurde.

Madentherapie

Zur Therapie chronischer Wunden wurden Maden der Goldfliege, Lucilia sericata (Abbildung 2), bereits seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingesetzt. In Wunden eingebrachte Maden lösen Gewebstrümmer Nekrosen auf (Mikro-Debridement), kontrollieren die Infektion der Wunde und sorgen für eine Gewebeneubildung, welche die Wunde verschließt (Abbildung 2). Doch die Entwicklung der Antibiotikatherapie drängte diese Methode für lange Zeit in den Hintergrund. Während die Maden früher direkt auf die Wunde gesetzt wurden, verwendet man heute spezielle Textilien zur Madenbehandlung. Die sterilen Maden werden in einem speziellen Textilbeutel (Vitapad) versendet, der aus einer feinporigen PVA-Außenschicht und einem inneren abgeschlossenen Nylonnetz mit Abstandshaltern besteht. In modernen Wundauflagen soll es zukünftig möglich sein, die heilbringenden Eigenschaften der Maden zu nutzen, ohne sich ihrem Anblick aussetzen zu müssen. Die Hohensteiner Institute arbeiten derzeit daran, die chemischen Stoffe der Maden zu isolieren, die für die wundheilungsfördernden Eigenschaften wie Infektionskontrolle, Gewebeproliferation sowie Mikro-Debridement verantwortlich sind. Wer also bislang von der Madenbehandlung chronischer Wunden zurückgeschreckt ist, weil er sich vor den Tieren ekelte, braucht in Zukunft keine Bedenken mehr gegen diese Therapieform zu haben. Darüber hinaus arbeiten die Hohensteiner Institute daran, die wundheilenden Eigenschaften des Madensekretes an einen textilen Träger zu koppeln, der sich zeitlich gestaffelt in der Wunde auflöst und dabei die Maden-Inhaltsstoffe kontrolliert freisetzt. Damit wird erstmals ein neues, innovatives Konzept in der Therapie chronischer Wunden beschritten. Von den Forschungsergebnissen zur Dotierung von Textilien können nach Abschluss des Projektes auch Partner aus der Industrie profitieren. Das Beispiel macht deutlich, wie wichtig die Entwicklung textiler Depotstrukturen für die therapeutische Funktion zukünftiger, innovativer Medizintextilien sein wird.

Krill-Therapie

Von norwegischen Fischern werden zur Schürfwundentherapie traditionell frische Fänge von Meeres-Krill, Euphausia superba (Abbildung 3), eingesetzt. Der Verdauungstrakt dieser Lebewesen enthält hochpotente Enzyme (so genannte Endo- und Ektopeptidasen) mit wenig selektiver enzymatischer Spezifität, die erstaunliche Erfolge im Bereich der Wundheilungen erbringen. Zur Liste der Behandlungserfolge dieser Biotherapie zählen zahlreiche Brandwunden sowie Geschwüre Ulcera und Mykosen. Da sich die Endo- und Ektopeptidasen des Krills leicht gefriertrocknen lassen, eignen sie sich hervorragend für die Anwendung als textile, feuchte Kompresse.

Phagen-Therapie

Angesichts der sich weltweit verschärfenden Antibiotika-Problematik feiert die sogenannte Phagen-Therapie derzeit eine Aufsehen erregende Renaissance. Bakteriophagen sind Viren, die selektiv Bakterien angreifen und daher eine sinnvolle Therapie gegen Bakterienstämme, die eine Resistenz gegen Antibiotika entwickelt haben, bieten können. Im Gegensatz zu Antibiotika sind Phagen ein natürlich vorkommender antimikrobieller Organismus, der nahezu ubiquitär auf der Erde vorkommt und sich in seinem Bakterienangriff selbst reguliert: Nach Befall eines Bakteriums durch Phagen werden innerhalb von 30 Minuten durch Umprogrammieren des Bakterienstoffwechsels Tausende von neuen Phagen gebildet, die das Bakterium füllen und letztlich zum Platzen bringen (Abbildungen 4-6). Danach gehen auch die Phagen zu Grunde. Angedacht ist es, mit Phagen ausgerüstete antibakterielle innovative Medizintextilien herzustellen. Möglich wäre dies als infektionsbekämpfende oder prophylaktische Wundauflage, als Patienten und Chirurgen schützende OP-Textilie oder als therapeutisches Textil, um bakterielle Hautinfektionen zu bekämpfen. Die textilen Anwendungen liegen dabei in gar nicht ferner Zukunft: Von einer weltweit führenden georgischen Arbeitsgruppe wurde kürzlich eine Phagen enthaltende Wundauflage für klinische Anwendungen entwickelt. Auch zur Behandlung der Neurodermitis wurden diese Bakterienviren bereits erfolgreich eingesetzt, um die Staphylococcen-Besiedelung der Neurodermitikerhaut zu reduzieren, wodurch sich dass das Krankheitsbild der Betroffenen verbesserte. Die Hohensteiner Institute haben bereits die ersten Kontakte geknüpft, um das Spezialwissen der georgischen Wissenschaftler für die örtliche Textilbranche zu erschließen.

Blutegel-Therapie

Auch Blutegel sind in den letzten Jahren wieder zunehmend Bestandteil der medizinischen Versorgung geworden. Der Blutegel entlässt in die durch Saugen gesetzte Wunde mit seinem Speichel ca. 15 Inhaltsstoffe. Am bekanntesten ist dabei das gerinnungshemmende Hirudin. Daneben enthält es weitere entzündungs- und gerinnungshemmende Stoffe wie Hyaluronidase, Calin, Apyrase, oder Collagenase. Dieser pharmazeutische Cocktail ist, neben sanfter Blutentziehung, ein hochwirksames Agens bei vielen Erkrankungen. Therapeutisch wird der Egel heute bei Thrombosen, Gewebsverpflanzungen, Furunkeln, Karbunkeln, Entzündungen und Abszessen eingesetzt. Mit jeder weiteren Charakterisierung neuer biotherapeutischer Wirkstoffe wächst die Chance auf eine Entkopplung der Wirkstoffe vom Lebewesen mit einer Einbindung in innovative therapeutische Medizintextilien, die nun – unabhängig vom Organismus – die gleiche therapeutische Wirkung erzielen könnten.

Psoriasis-Therapie

In den warmen Quellen des 1600 m hoch gelegenen anatolischen Ortes Kangal leben spezielle biotherapeutische Fische. Der karpfenartige Kangalfisch, Garra rufa, wird seit langem erfolgreich zur Therapie der Schuppenflechte Psoriasis eingesetzt. Der Kangalfisch knabbert die im Übermaß produzierten Hautschuppen der Patienten vorsichtig ab, so dass Psoriatiker nach mehrtägigen therapeutischen Bädern eine langfristige Besserung ihres Hautzustandes erfahren. Die entzündungshemmenden Wirkstoffe, die der Kangalfisch während seiner Arbeit an die entzündete Haut abgibt, sind derzeit noch nicht bekannt. Aber auch hier werden hauttherapeutische Moleküle erwartet, die an Medizintextilien gebracht, Psoriasis-Kranken weltweit Linderung verschaffen könnten.

Entwicklung biotherapeutischer Wundtextilien

Die demografische Entwicklung der europäischen Staaten zeigt, dass biotherapeutische Wundtextilien zukünftig eine große Marktbedeutung erlangen werden. Entscheidende Voraussetzungen zur Entwicklung dieser Medizintextilien sind einerseits textile Depotstrukturen, um die biotherapeutischen Wirkstoffe aufzunehmen. Neben ersten Prototypen von Käfigmolekülen wie Cyclodextrinen oder Dendrimeren stehen der textilen Welt heute vielversprechendere Technologien wie z.B. moderne Polymerbeschichtungen, die Nanotechnologie oder die Mikrosystemtechnik zur Verfügung. Die Potenziale dieser Technologien sind noch lange nicht ausgeschöpft. Bis zum Erreichen einer dosierbaren textilen Applikationsform ist es sicherlich noch weit, doch die Grundsteine biofunktioneller Textilien müssen bereits heute gelegt werden, um erste Leitprodukte zu entwickeln, die den zukünftigen Markt eröffnen.

Eine weitere wichtige Voraussetzung für die Entwicklung biotherapeutischer Wundtextilien ist, dass auch die Mechanismen des Wirkstofftransfers in und durch die Haut verstanden werden (Drug Delivery), um die medizinischen Zubereitungen gezielt in den Körper einzuschleusen. Damit biofunktionelle Innovationen schon bald den Weg zur klinischen Anwendung am Patienten finden, arbeiten am Institut für Hygiene und Biotechnologie der Hohensteiner Institute Humanbiologen und Mediziner eng mit Textilingenieuren und Chemikern zusammen. Denn gerade auf dem verwandten und weniger regulierten Sektor der textilen Applikation von Kosmetika werden derzeit große Fortschritte erzielt.

Media Contact

Rose-Marie Riedl idw

Weitere Informationen:

http://www.hohenstein.de

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