Künstliche Zellen

Poröse Kapseln aus Molybdänoxid können als Modell für biologische Ionentransportprozesse dienen.

Müssen Zellen immer aus organischen Kohlenstoffverbindungen aufgebaut sein? Wenn findige Wissenschaftler ihre Phantasie bemühen, finden sie rasch eine Antwort auf diese Frage. Das zeigen Arbeiten von Achim Müller aus Bielefeld und seinen Mitarbeitern. Sie konstruierten eine „künstliche Zelle“ aus einem anorganischen Riesenmolekül: einem kugelförmigen Polyoxymolybdatcluster. 20 ringförmige Öffnungen, die von einer alternierenden Folge von je neun Molybdän- und neun Sauerstoffatomen umschlossen wurden, bildeten die Poren der künstlichen Zellmembran. An der Innenseite waren zweifach negativ geladene Sulfatgruppen kovalent gebunden, die für eine deutliche negative Ladung der Kapseloberfläche sorgten. Im Innern der Kugel befanden sich Wassermoleküle. Jede Pore war durch einen „Stöpsel“ aus einem Harnstoffmolekül verschlossen, der über schwache, nicht kovalente Wechselwirkungen an den Mo9O9-Ring angelagert war.

Typisch für biologische Signalprozesse in lebenden Zellen, ist ein kontrollierter Ionenfluss durch spezielle Kanalproteine in der Zellmembran. Diese können durch die Bindung eines geeigneten Liganden gesteuert werden oder über das elektrochemische Potential an der Zellmembran, letztendlich also durch Konzentrationsunterschiede von Ionen innerhalb und außerhalb der Zelle. Bei einer Vielzahl von biologischen Funktionen spielen Calciumionen (Ca2+) eine wichtige Rolle. Aus diesem Grunde wählten Müller et al. Ca 2+ für ihre weiteren Experimente aus. Sie versetzten wässrige Lösungen der Molybdatkapseln mit Ca2+-Ionen und untersuchten die entstehenden Kristalle mithilfe der Röntgenstrukturanalyse. Dabei stellte sich heraus, dass nicht einfach Calciumionen in die Kapsel eingewandert waren, auch die Harnstoffstöpsel befanden sich wieder auf ihren Plätzen in den Mo9O9 -Poren.

Dieses Verhalten der künstlichen Zelle zeigt Parallelen zu den Vorgängen, die sich an einem spannungsgesteuerten Ionenkanal in einer lebenden Zelle abspielen: Im Ausgangszustand sind die Poren geschlossen. Werden nun Ca2+-Ionen im Überschuss zugegeben, so gleichen die positiven Ca2+-Ionen die negativen Ladungen der Kugeloberfläche aus. Dadurch ändert sich der elektrochemische Gradient an der künstlichen Zellmembran. Die Deckel der Poren öffnen sich und Ca 2+-Ionen können in die Kapsel eindringen. Möglicherweise verändert dies erneut die Ladungsverteilung an der künstlichen Zellmembran und die Poren schließen sich wieder.

Autor: Achim Müller, Universität Bielefeld (Germany), http://www.uni-bielefeld.de/chemie/ac1/index.htm

Angewandte Chemie: Presseinfo 45/2005

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