20 Jahre lang Ohnmachtsanfälle – Erstmals Hoffnung auf wirksame Therapie

Sobald er aufrecht stand, sackte sein Blutdruck innerhalb von Sekunden von 140 auf 50 mm Quecksilbersäule, so dass der 43-jährige Mann in den vergangenen 20 Jahren immer wieder zusammenbrach und das Bewusstsein verlor. Er konnte zudem kaum schwitzen, sein Mund und seine Augen waren trocken. Er hatte einen aufgedunsenen Bauch und Verdauungsprobleme. Sein Darm war so geschwollen, dass sich die Leber von der rechten auf die linke Bauchseite verschoben hatte und der Magen zwischen Leber und Milz eingequetscht wurde. Er konnte fast nichts mehr essen, nur sehr wenig trinken und magerte ab. Er befürchtete, langsam zu verhungern. Jetzt haben Dr. Christoph Schröder, Prof. Friedrich Luft und Prof. Jens Jordan vom Klinischen Forschungszentrum der Franz-Volhard-Klinik (Charité und Helios Klinikum Berlin-Buch und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, MDC, Berlin-Buch) möglicherweise den Auslöser für diese schwere und seltene Erkrankung gefunden: einen Autoantikörper, der die Nervenknoten (Ganglien) des autonomen (vegetativen) Nervensystems blockiert, das lebenswichtige Vorgänge wie Herzschlag, Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Stoffwechsel, Lungen- und Blasenfunktion sowie die Verdauung reguliert. An vier aufeinander folgenden Tagen ersetzten sie das Blutplasma des Patienten durch Spenderplasma und wuschen auf diese Weise den Antikörper aus dem Blut. Zugleich erhielt er Medikamente (Prednisolon und Azathioprin), die die Bildung der Antikörper hemmen. Der Gesundheitszustand des Patienten verbesserte sich daraufhin so dramatisch, dass er inzwischen wieder arbeiten und sich seines Lebens erfreuen kann. Auch ein Jahr nach der Behandlung hält der Erfolg an. „Erstmals besteht damit für diese Patienten Hoffnung auf eine wirksame Therapie“, erklärte Prof. Jordan. Die Arbeit veröffentlichte jetzt das New England Journal of Medicine (NEJM)* (Vol. 353, Nr. 15, pp. 1585-1590, 13. Oktober 2005).

Der Autoantikörper wirkt wie so genannte Ganglienblocker. Das sind Medikamente, die früher eingesetzt wurden, um schweren Bluthochdruck zu behandeln. Beide, der Autoantikörper des Patienten und die Ganglienblocker, besetzen die Bindungsstelle (Rezeptor) für Acetylcholin. Das ist ein Neurotransmitter, der normalerweise die Erregungssignale auf den Sympathikus und Parasympathikus überträgt, die beiden Systeme, die im autonomen Nervensystem die Organfunktionen steuern und ausbalancieren. Mit dem Auswaschen des Antikörpers und dem Unterdrücken seiner Neubildung durch die Medikamente hatten die Kliniker den Nachweis erbracht, dass tatsächlich der Autoantikörper die schwere neurologische Störung des Patienten verursacht hatte. Weshalb der Körper des Patienten diese Antikörper bildet, ist allerdings unklar. Prof. Jordan, der am MDC auch eine Forschungsgruppe über Störungen des vegetativen Nervensystems leitet, und seine Kollegen weisen darauf hin, dass bei Patienten mit schweren Blutdruckabfällen im Stehen und weiteren Störungen des vegetativen Nervensystems geprüft werden sollte, ob im Blut Antikörper gegen ganglionäre Acetylcholin-Rezeptoren nachweisbar sind.

* Plasma Exchange for Primary Autoimmune Autonomic Failure

Christoph Schroeder, Steven Vernino, Andreas L. Birkenfeld, Jens Tank, Karsten Heusser, Axel Lipp, Thomas Benter, Carsten Lindschau, Ralph Kettritz, Friedrich C. Luft and Jens Jordan

From the Franz Volhard Clinical Research Center and the Max Delbrück Center for Molecukar Medicine (C.S., A.L.B., J.T., K.H., C.L., R.K., F.C.L., J.J.) , Medical University Charité (C.S., A.L.B., J.T., K.H., C.L., R.K., F.C.L., J.J) and Helios Klinikum (T.B.) – all in Berlin; and the Department of Neurology, University of Texas Southwestern Medical Center, Dallas (S.V.). Address reprints request to Dr. Jordan at the Franz Volhard Clinical Research Center, Wiltbergstr. 50, Haus 129, 13125 Berlin Germany, or at jordan@fvk.charite-buch.de

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