Reaktionsfronten auf atomarer Skala sichtbar gemacht

Rastertunnelmikroskopische Aufnahmen einer Reaktionsfront bei der Wasserstoffoxidation auf einer Platinoberfläche. Die Front erscheint als heller Ring, der sich mit einer Geschwindigkeit von 15 Nanometern (= Millionstel Millimeter) pro Minute ausbreitet. Die hellen Punkte in der Front sind Inseln, die jeweils aus wenigen OH-Molekülen bestehen. <br>Rastertunnelmikroskopische Aufnahmen: Fritz-Haber-Institut <br>

Forscher am Fritz-Haber-Institut entdecken: Bisherige Modelle molekularer Prozesse müssen korrigiert werden

Wissenschaftler des Berliner Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft haben erstmals die atomaren Vorgänge sichtbar gemacht, die auf der Oberfläche eines Katalysators so genannte chemische Reaktionsfronten entstehen lassen (Science, 31. August 2001). Dieser Erfolg gelang dem Forscherteam um Christian Sachs und Joost Wintterlin aus der von Prof. Gerhard Ertl geleiteten Abteilung „Physikalische Chemie“.

Gewöhnlich laufen chemische Prozesse gleichmäßig ab, das heißt: In dem gesamten Raum, in dem sie stattfinden, ist die Stoffumwandlung etwa im selben Moment beendet. Manche Reaktionen nehmen jedoch einen anderen Verlauf: Sie „zünden“ an einer Stelle und breiten sich dann frontartig aus. Solche Phänomene sind zwar schon länger aus der Chemie bekannt und lassen sich auch recht gut mit theoretischen Modellen erklären. Bisher wussten die Forscher allerdings nicht, ob die einfachen Vorstellungen, so genannte Reaktions-Diffusions-Modelle, die Vorgänge auch auf atomarer Ebene korrekt beschreiben.

Mithilfe eines Rastertunnelmikroskops haben Wissenschaftler des Fritz-Haber-Instituts die molekularen Prozesse in einer Reaktionsfront jetzt erstmals direkt sichtbar gemacht. Dabei stellte sich heraus, dass man die Konzepte einfacher Reaktions-Diffusions-Modelle nicht auf den kleinen Maßstab von Atomen und Molekülen übertragen kann. Vor allem müssen künftig die Wechselwirkungen zwischen den reagierenden Partnern berücksichtigt werden, damit man die Eigenschaften der Fronten – zum Beispiel ihre Geschwindigkeit – genau berechnen kann.

Frontartige Ausbreitungen sind nicht nur aus der Chemie, sondern auch aus anderen Bereichen der Natur und sogar bei sozialen Vorgängen bekannt: Waldbrände etwa zeigen ein ähnliches Verhalten. Weitere Beispiele sind die Pestepidemien im Mittelalter oder die Einführung des Ackerbaus in Europa in der Jungsteinzeit. Sie beginnen in einem lokal begrenzten Gebiet und breiten sich frontartig aus. Mathematisch lassen sich all diese Vorgänge ähnlich beschreiben. Bei chemischen Reaktionen, an denen meistens nur relativ einfach gebaute, einheitliche Moleküle beteiligt sind, scheinen die zugrunde liegenden Prozesse besonders leicht verständlich zu sein. Die Reaktion beginnt irgendwo und bildet lokal eine kleine Menge Reaktionsprodukt. Bei bestimmten chemischen Prozessen nimmt jedoch das entstehende Produkt selbst wieder an der Stoffumsetzung teil und beschleunigt sie dadurch. Einmal gestartet, wird der Ablauf daher immer schneller, und die Menge der erzeugten Substanz nimmt in diesem Bereich stark zu. Gleichzeitig beginnt das zunächst räumlich konzentrierte Produkt durch Diffusion auseinander zu laufen und sich in seiner Umgebung auszubreiten. Hier startet es erneut die Reaktion, die sich weiter fortsetzt. Diese Vorgänge wiederholen sich ständig – das entspricht der Ausbreitung einer Front. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Front bewegt, kann dabei viel größer sein als die Diffusionsgeschwindigkeit. Mit einfachen theoretischen Modellen, die nur die Reaktion und die Diffusion berücksichtigen (daher der Name Reaktions-Diffusions-Modell) lässt sich dieses Verhalten im Prinzip erfassen. Dennoch gibt es Hinweise, dass diese Beschreibung zu einfach ist.

Wissenschaftler des Fritz-Haber-Instituts um Christian Sachs und Joost Wintterlin aus der Abteilung von Prof. Gerhard Ertl haben gefunden, dass bei der katalytischen Oxidation von Wasserstoff bei tiefen Temperaturen Fronten entstehen können. Die Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff findet dabei auf der als Katalysator wirkenden Platinoberfläche statt; als Produkt entsteht Wasser. Die Messungen fanden im Ultrahochvakuum mit einem Rastertunnelmikroskop statt – ein Verfahren, das Abbildungen von Atomen und Molekülen auf Oberflächen liefert. Mit dieser Technik ist es jetzt gelungen, solche chemischen Reaktionsfronten sichtbar zu machen; bei diesen Reaktionen haben sie typische Breiten von 10 bis 100 Nanometern (= Millionstel Millimeter).

Die Berliner Forscher haben außerdem beobachtet, dass als Zwischenprodukt OH-Moleküle auf der Platinoberfläche entstehen, die sich dann mit Wasserstoffatomen zu Wasser (H2O) vereinen. Dieses Wasser reagiert aber weiter und setzt mit noch vorhandenen Sauerstoffatomen wieder OH frei. Dadurch wächst lokal die Menge an OH, sodass OH und in der Folge H2O immer schneller erzeugt werden. Wasser kann auf der Platinoberfläche diffundieren und diesen Prozess somit auch in der Umgebung auslösen. Als Ergebnis breitet sich eine Reaktionsfront aus, wobei das Zwischenprodukt OH sich in der Front anreichert.

Nachdem es nun gelungen ist, auf atomarer Skala die in den Fronten reagierenden Atome und Moleküle sichtbar zu machen, zeigen sich viel kompliziertere Prozesse, als die Reaktions-Diffusions-Modelle angenommen haben. Zwar reagieren und diffundieren die chemischen Partner tatsächlich – aber nicht unabhängig voneinander. Die OH- und H2O-Moleküle zeigen starke Wechselwirkungen, zum Beispiel bilden sich durch anziehende Kräfte zwischen den Teilchen kleine Inseln aus. Damit lässt sich erklären, warum die experimentell gemessenen Geschwindigkeiten und Profile der Fronten nicht mit den theoretisch vorhergesagten Werten übereinstimmen. Die Wissenschaftler hoffen nun, dass sich mit diesen Befunden bessere theoretische Modelle entwickeln lassen, die sich dann auch auf andere Beispiele dieses weit verbreiteten Phänomens übertragen lassen.

Viola Kirchner

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