Rätsel um chemisches Chamäleon gelüftet

Gibt es Moleküle ohne Struktur?

Die meisten Moleküle haben eine wohldefinierte Struktur. Im Falle des protonierten Methanmoleküls CH5+ war das aber bislang nicht so sicher: Die offene und kontrovers diskutierte Frage um die Struktur des Moleküls zu beantworten, gelang jetzt dank der interdisziplinären Zusammenarbeit von Theoretischen Chemikern der RUB um Prof. Dr. Dominik Marx und einer Gruppe von Experimentalphysikern um Prof. Dr. Stephan Schlemmer von der Universität zu Köln, vom Astrophysikalischen Laboratorium der Sternwarte Leiden (NL), sowie vom FOM Institut für Plasmaphysik in Rijnhuizen (NL). Sie fanden im Zusammenspiel von Experiment und Computersimulationen heraus, dass sich das Molekül zwar unentwegt rasend schnell verändert, aber eine bestimmte Konstellation bevorzugt. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher im US-Fachmagazin SCIENCE vom 30. Juni.

Fakten schaffen im Experiment

Ein experimenteller Durchbruch war die Verwendung einer neuen Technik, um das Spektrum des „Chamäleons“ CH5+ im Infrarotbereich messen zu können. Der benutzte Laserstrahl wurde vom Freien Elektronen Laser in der FELIX Facility in Rijnhuizen erzeugt und in eine „Ionenfalle“ gelenkt, in der die CH5+-Moleküle erst erzeugt, dann gekühlt und schließlich spektroskopiert wurden. „All dies hat soviel gemeinsam mit der „normalen Messung“ eines Infrarotspektrums im Labor wie ein Formel 1 Rennwagen mit einem Serienmodell der gleichen Marke“, veranschaulicht der Theoretiker Prof. Marx das ausgefeilte Verfahren.

Fakten verstehen mit der Theorie

Aber ein Spektrum ohne Interpretation ist wenig wert. Hier kommt die Theorie zum Zuge: Das Infrarotspektrum haben die Forscher im Bochumer Virtuellen Labor, BOVILAB@RUB, ohne jeden Rückgriff auf experimentelle Daten, also „ab initio“, simuliert. Auch hier gab es große Schwierigkeiten zu überwinden, greifen doch die üblicherweise verwendeten theoretischen Methoden nicht: „Das Molekül ändert dauernd seine Struktur“, erläutert Marx, „aber gerade das Vorhandensein einer bestimmten Struktur ist Voraussetzung bei traditionellen Methoden zur Berechnung solcher Spektren.“ Im Virtuellen Labor gaben die Wissenschaftler dem Molekül nun die Freiheit, die es sich in der Natur eben nimmt. Sie berechneten das Spektrum so, wie es auch im Experiment erzeugt wird, d.h. ohne große Umwege.

CH5+ hat eben doch eine Struktur, aber diese ändert sich permanent

„Die Übereinstimmung des so berechneten mit dem gemessenen Spektrum war hervorragend, so dass daraufhin – bildlich gesprochen – das hierfür verantwortliche atomistische Uhrwerk, bestehend aus fünf Protonen, einem Kohlenstoffkern und zusammengehalten von zehn Elektronen, im virtuellen Labor detailliert zerlegt werden konnte“, fasst Prof. Marx die Herangehensweise in einem Bild zusammen. Es zeigte sich, dass sich einerseits die relative Orientierung der fünf Protonen um das Zentrum rasant verändert, dies aber andererseits so koordiniert passiert, dass im Mittel eine Vorzugsanordnung eingenommen wird. Eine dynamische Animation stellten die Forscher ins Internet (http://www.theochem.rub.de/go/ch5p.html). Verantwortlich für die beobachtete Koordination der Bewegung ist eine sog. Dreizentren-Zweielektronen Bindung, welche eine H2-Einheit an ein CH3-Dreibein bindet. Dabei werden allerdings die Atome, die diese Untereinheiten bilden, dauernd ausgetauscht. „Protonierte Methanmoleküle sind u.a. in der Astrochemie von Interesse, da sie mitverantwortlich sind für die Synthese von größeren Molekülen in interstellaren Wolken“, so Prof. Marx.

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Dr. Josef König idw

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