Knochenprotein hält Stammzellen im Zaum

Wissenschaftler der Medizinischen Poliklinik am Universitätsklinikum Bonn haben zusammen mit US-Kollegen aus Harvard und Rochester einen bis dato unbekannten Weg entdeckt, über den der Körper die Zahl der Stammzellen im Knochenmark reguliert. Die Ergebnisse erscheinen im Journal of Experimental Medicine, sind aber bereits online abrufbar.

Stammzellen sind wahre Multitalente: Sie können sich zu verschiedenen Gewebetypen entwickeln. Das funktioniert umso besser, je „unreifer“ oder weniger differenziert die Stammzellen noch sind. Am undifferenziertesten sind die Zellen, aus denen ein Embryo kurz nach der Befruchtung besteht. Aus jeder von ihnen kann sich ein kompletter Mensch entwickeln – mit so verschiedenen Gewebetypen wie Muskeln, Gehirn oder Knochen. Wenn sich die Alleskönner-Zellen während der Schwangerschaft vermehren, verlieren sie jedoch ihre „Totipotenz“. Es entstehen Zellen, aus denen sich nur noch wenige verwandte Gewebetypen bilden können. Schließlich sind die Zellen so weit ausgereift und differenziert, dass sie zu genau einem Gewebetyp – etwa Haut oder Muskeln – heranwachsen können.

Selbst Erwachsene verfügen jedoch über eine Vielzahl von Stammzellen, die sich ein gewisses Maß an Flexibilität erhalten haben. Ein Beispiel sind die blutbildenden „hämatopoetischen“ Stammzellen im Knochenmark, die je nach Bedarf Blutplättchen, weiße Blutkörperchen und rote Blutkörperchen bilden. Damit sie für das ganze Leben des Organismus für unerschöpflichen Nachschub von Blutzellen sorgen können, benötigen sie den besonderen Schutz der Stammzell-Nischen im Knochenmark, die im Jahr 2003 entdeckt wurde. Dort liegen die Stammzellen in direkter Nähe zu zahlreichen Osteoblasten – das sind Zellen, die etwa nach Brüchen neues Knochenmaterial aufbauen können. Die Osteoblasten haben aber auch noch eine weitere Funktion: Sie tragen bestimmte Signalproteine auf ihrer Oberfläche, die verhindern, dass die Stammzellen im Knochenmark unkontrolliert zu Blutzellen heranreifen und so verbraucht werden.

Die Kontrolle der Stammzellzahl scheint aber noch ausgeklügelter zu sein, als bislang angenommen: „Wir haben jetzt erstmalig ein Regulator-Protein entdeckt, das frei im Knochenmark vorkommt, also nicht an Osteoblasten gebunden ist“, erklärt der Bonner Oberarzt für Hämatologie und Onkologie Dr. Sebastian Stier. Dieses so genannte „OPN“ scheint einerseits Stammzellen zum Selbstmord treiben zu können. Andererseits sorgt es dafür, dass die Osteoblasten weniger Signalproteine bilden, die ihrerseits wieder die Produktion neuer Stammzellen fördern würden. OPN verringert also die Zahl der Stammzellen.

Hoffnung bei Stammzelltherapien

„Wir können die Stammzellnische im Knochenmark regulieren“, betont Professor Dr. Yon Ko vom Universitätsklinikum Bonn. „Wenn wir die Osteoblasten aktivieren und gleichzeitig das OPN durch spezifische Antikörper blockieren, vervierfacht sich die Zahl der Stammzellen im Knochenmark.“

Damit wird OPN auch therapeutisch interessant. Mitunter entstehen nämlich im Knochenmark defekte blutbildende Stammzellen. Wenn sie sich ausbreiten, können sie bösartige Blutkrankheiten wie beispielsweise Leukämien hervorrufen. Um diese zu behandeln, zerstören die Mediziner daher mit energiereicher Strahlung oder einer Chemotherapie sämtliche Stammzellen im Knochenmark. Danach injizieren sie dem Patienten gesunde Stammzellen und hoffen, dass diese die verwaiste Stammzellnische füllen. „Ein Teil der frischen Zellen findet aber gar nicht den Weg dorthin, ein anderer begeht sofort Selbstmord“, erklärt Dr. Stier. „Wenn wir das OPN blockieren, könnten Stammzellen nach einer Transplantation leichter im Knochenmark anwachsen.“

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Frank Luerweg idw

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