Bielefelder Forscher entschlüsseln das Genom von Corynebacterium jeikeium

Ein bakterieller Hautbewohner mit lebensgefährlichem Potenzial

In den letzten Jahren häufen sich Berichte über das Auftreten von neuen Krankheitserregern, die gegen nahezu alle der gegenwärtig zugelassenen Antibiotika unempfindlich sind. Von einer derartigen Entwicklung sind besonders Patienten auf Intensivstationen betroffen, deren schwere Grundleiden mit naturgemäß infektionsanfälligen Maßnahmen behandelt werden. Bedingt durch die zunehmende Unempfindlichkeit von Krankheitserregern gegen Antibiotika können sich schwerwiegende, teilweise lebensbedrohende Probleme bei der Bekämpfung von bakteriellen Infektionserkrankungen ergeben. Zu diesem Typus von neuen Krankheitserregern gehört auch Corynebacterium jeikeium. Bei diesem Mikroorganismus handelt es sich um einen ansonsten harmlosen bakteriellen Bewohner der menschlichen Haut, der allerdings im Krankenhausumfeld als Erreger von schweren Infektionserkrankungen hervortreten kann. Corynebacterium jeikeium ist ein wesentlicher Bestandteil der bakteriellen Hautflora von immungeschwächten Patienten auf Intensivtherapieabteilungen und zeichnet sich dadurch aus, dass es nur noch auf die (mit entsprechenden Nebenwirkungen) hochwirksamen Antibiotika Vancomycin und Teicoplanin reagiert. Ursprünglich als Erreger von Herzinnenwandentzündungen beschrieben, wird Corynebacterium jeikeium mittlerweile auch mit häufig tödlich verlaufenden Formen von bakterieller Blutvergiftung in Verbindung gebracht. Bedingt durch die Multiresistenz gegen Antibiotika ergeben sich trotz der Fortschritte der modernen Intensivmedizin Probleme bei der Bekämpfung von Infektionen durch Corynebacterium jeikeium, insbesondere bei der Behandlung von immungeschwächten Patienten auf Intensivstationen.

Detaillierte Einblicke in die Physiologie des Krankheitserregers

Am Institut für Genomforschung der Universität Bielefeld gelang nun einem Team von Wissenschaftlern unter der Leitung der Genomforscher Dr. Andreas Tauch und Prof. Dr. Alfred Pühler die vollständige Entschlüsselung der Erbinformation von Corynebacterium jeikeium K411, das aus der Achselhöhle eines immungeschwächten Intensivpatienten isoliert wurde. In der aktuellen Ausgabe (Heft 187, Nr. 13) der renommierten internationalen Fachzeitschrift Journal of Bacteriology berichten die Bielefelder Wissenschaftler über die Auswertung ihrer Forschungsergebnisse. Die vollständige Erbinformation des Krankheitserregers besteht aus einem ringförmigen Chromosom mit nur 2.462.499 Basenbausteinen, aus deren Abfolge die Forscher ihre Informationen gewinnen konnten. Durch computergestützte Analysen ließen sich insgesamt 2104 Gene im Chromosom von Corynebacterium jeikeium vorhersagen. Da bislang keinerlei wissenschaftliche Daten über die Erbinformation von Corynebacterium jeikeium vorliegen, liefert die Studie erstmals detaillierte Einblicke in die Physiologie dieses Krankheitserregers sowie in die Mechanismen, die zu seiner Multiresistenz und Pathogenität beitragen.

Die Entschlüsselung der Erbinformation von Corynebacterium jeikeium zeigte zunächst, dass die meisten Gene, die zur Unempfindlichkeit gegen nahezu alle Antibiotika beitragen, bereits aus anderen hautbewohnenden Bakterien bekannt waren. Durch diese Gene werden Proteine kodiert, die vermutlich über verschiedene molekulare Mechanismen zur Multiresistenz von Corynebacterium jeikeium beitragen können. Dieser überraschende Befund ist ein Beleg dafür, dass Bakterien in der Lage sind, untereinander „wichtige“ Informationen auszutauschen und dass Corynebacterium jeikeium diese Informationen geradezu gesammelt hat.

Fettsubstanzen aus menschlichem Gewebe als Wachstumsvoraussetzung

Die wissenschaftlichen Daten deuten ferner darauf hin, dass sich Corynebacterium jeikeium normalerweise von Komponenten des Fettfilms der menschlichen Haut ernährt. In diesem Zusammenhang sind nun besonders die möglichen krankheitserregenden Faktoren von Corynebacterium jeikeium von Bedeutung, da viele von ihnen an chemischen Reaktionen beteiligt sind, die durch die Schädigung des menschlichen Gewebes Fettkomponenten freisetzen können. Somit besteht offensichtlich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Bedarf an Fettsubstanzen für das bakterielle Wachstum und der vorhergesagten Wirkungsweise der Pathogenitätsfaktoren. Weiterhin ist noch erwähnenswert, dass Corynebacterium jeikeium durch den Abbau von Sekreten der Achselhöhle auch an der Entstehung des Schweißgeruches beteiligt sein kann. Somit gehört wahrscheinlich eine „Begegnung“ mit Corynebacterium jeikeium über den Geruchssinn für jedermann zu einer alltäglichen, allerdings harmlosen Erfahrung. Gelangt Corynebacterium jeikeium jedoch durch Verletzungen oder intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen an ansonsten sterile Bereiche des menschlichen Körpers, zum Beispiel in das Blut, so kann der Erreger dort schwere Infektionskrankheiten hervorrufen. Aus der Sicht des Bakteriums handelt es sich bei der damit einhergehenden Schädigung des menschlichen Gewebes lediglich um eine Maßnahme, lebensnotwendige Fettbestandteile für die eigene Ernährung freizusetzen. Für den betroffenen Patienten auf der Intensivstation entsteht dadurch allerdings eine möglicherweise tödliche Bedrohung.

Die Bielefelder Forscher erhoffen sich nun von ihren Forschungsergebnissen wichtige Impulse für die Entwicklung neuer Antibiotika, die es wieder ermöglichen, unempfindliche Krankheitserreger effizient zu bekämpfen. Die Entschlüsselung des Genoms des gefährlichen Bakteriums unterstreicht eindrucksvoll die Bedeutung der Universität Bielefeld als einer der führenden Standorte für die bakterielle Genomforschung in Deutschland.

Media Contact

Dr. Hans-Martin Kruckis idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bielefeld.de

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