Dialog zwischen Gehirn und Immunsystem

Lange Zeit nahm man an, dass das Gehirn „immunprivilegiert“, also von der Immunfunktion des Organismus ausgenommen, sei. Seit jedoch der Marburger Physiologe Professor Dr. Hugo Besedovsky in den 1980er Jahren nachgewiesen hatte, dass Botenstoffe des Immunsystems über das neuroendokrine System auch das Gehirn beeinflussen, entwickelte sich die Forschung auf dem Gebiet der neuro-immun-endokrinen Interaktionen zu einem attraktiven Forschungsgegenstand. Nun wird am 29. und 30. April 2005 an der Philipps-Universität Marburg ein Symposium unter dem Titel „Neuroscience and Immunology: close encounters“ stattfinden. Organisatoren der internationalen Veranstaltung sind Professor Dr. Karlheinz Voigt, stellvertretender Direktor des Instituts für Normale und Pathologische Physiologie, sowie Professorin Dr. Adriana Del Rey vom selben Institut. Anlass des Symposiums ist die kürzliche Emeritierung von Hugo Besedovsky, der sich als einer der führenden Grundlagenforscher auf diesem Forschungsgebiet weltweit einen Namen gemacht hat.

Den „Dialog“ zwischen Gehirn und Immunsystem kennt jeder von uns. Professor Dr. Karlheinz Voigt: „Schon ein paar Tage, bevor man anfängt zu husten und zu schnupfen, bevor man Schüttelfrost und Fieberattacken hat, fühlt man sich schlapp und krank, hat keinen Appetit und ist müde. Dank der bahnbrechenden Forschungsarbeiten von Hugo Besedovsky weiß man heute, wie das zustande kommt. Zytokine, Botenstoffe des Immunsystems, signalisieren dem Gehirn: Es ist Gefahr im Verzug. Das heißt: Körper schonen, Temperatur bis hin zum Fieber erhöhen.“

Professor Dr. Hugo Besedovsky, zu dessen Ehren das Symposium abgehalten wird, ist seit 1991 Professor für Physiologie an der Philipps-Universität Marburg und baute hier eine sehr produktive Arbeitsgruppe für Immunphysiologie auf, zunächst als Stiftungsprofessor mit Unterstützung der Volkswagenstiftung und später dank der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Mechanismen neuro-immun-endokriner Interaktionen“.

Besedovsky, so berichtet Voigt, hatte in den 1980er Jahren nachgewiesen, dass Produkte des Immunsystems, die man damals noch nicht als Zytokine identifiziert hatte, auch das Gehirn beeinflussen können, indem sie das neuroendokrine System massiv stimulieren. Eine Infektion bedeutet Stress für den Organismus. Die Stimulation der Stresshormone, vor allem von Cortisol, wird durch Botenstoffe des Immunsystems (Zytokine) selbst veranlasst. Auf der anderen Seite ist Cortisol die einzige körpereigene Substanz, die das Immunsystem hemmen kann. So wurde durch Besedovskys Entdeckungen ein Regulationskreis etabliert, in dem die Kommunikationssysteme des Organismus Zentrales Nervensystem (ZNS), Immunsystem und endokrines System interagieren.

Besedovsky und seine Arbeitsgruppe konnten zudem nachweisen, dass Zytokine vom Gehirn selbst hergestellt werden (durch so genannte Microgliazellen), und dass diese Zytokine nicht nur die Immunantwort des ZNS reflektieren, sondern auch spezifisch neurobiologische Prozesse wie zum Beispiel das Lernen beeinflussen. Die Grundlagenforschungen auf diesem Gebiet haben dazu geführt, dass sich mittlerweile viele auch klinisch orientierte Neurowissenschaftler mit dem Einfluss und der möglichen therapeutischen Bedeutung von Zytokinen bei so wichtigen Erkrankungen des Zentralen Nervensystems wie Multipler Sklerose, Morbus Parkinson und Alzheimer-Demenz beschäftigen. Besedowsky selbst wird auch nach seiner Emeritierung noch den Fortschritt auf seinem Spezialgebiet vorantreiben: Jüngst nämlich bewilligte die DFG seinen Antrag auf ein weiteres Forschungsprojekt.

Media Contact

Thilo Körkel idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-marburg.de

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