Brustkrebs: Das "Jekyll-und-Hyde"-Protein

Bei jeder dritten Brustkrebs-Patientin beobachten Mediziner in den Tumoren eine vermehrte Bildung der so genannten AP2-Proteine. Bislang ist umstritten, welche Rolle diese Familie von fünf sehr ähnlichen Zelleiweißen bei der Krebsentstehung spielt. Manche Studien sprechen paradoxerweise sogar dafür, dass AP2 die Bildung von Tumoren unterdrückt. Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun herausgefunden, dass zumindest ein „Familienmitglied“, das AP2-Gamma, tatsächlich eine Doppelrolle zu spielen scheint: Während es die Entstehung neuer Krebsgeschwulste verhindert, beschleunigt es die Entwicklung bereits bestehender Tumoren zu aggressiven Stadien. Die Ergebnisse sind soeben in Breast Cancer Research and Treatment erschienen (2005 Apr; 90(3):273-80).

Während der Schwangerschaft durchläuft die weibliche Brust ein ausgeklügeltes Umbauprogramm: Um ausreichend Milch produzieren zu können, ersetzt der Körper sukzessive einen Teil des Fettgewebes durch Drüsengewebe; zudem beschleunigt sich die Zellteilung, so dass die Brüste insgesamt größer werden. Die vermehrte Bildung von AP2-Gamma während der Schwangerschaft scheint diese Zellteilungsprozesse anzukurbeln. In vielen Brusttumoren ist der AP2-Gamma-Spiegel ebenfalls erhöht – Grund genug für die Vermutung, dass das Protein bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen könnte.

Paradoxerweise entwickeln gentechnisch veränderte Mäuse mit permanent erhöhtem AP2-Gamma-Spiegel jedoch nicht mehr Tumore als normale Tiere. „Wir vermuten, dass da noch weitere Faktoren eine Rolle spielen“, erklärt Professor Dr. Hubert Schorle vom Bonner Institut für Pathologie. Um diese These zu untersuchten, haben die Wissenschaftler die AP2-Nager mit so genannten „Onko-Mäusen“ gekreuzt – das sind Tiere, die aufgrund einer genetischen Veränderung erheblich schneller Brusttumore entwickeln als ihre Verwandten in der freien Wildbahn. Einige Nachkommen aus der Kreuzung trugen sowohl das Brustkrebs-Gen aus den Onko-Mäusen als auch die veränderte Erbinformation für AP2-Gamma.

Das Resultat war erstaunlich: „In den ’reinen’ Onko-Mäusen entdeckten wir nach 25 Wochen erste Geschwulste; nach 32 Wochen war keine von ihnen mehr tumorfrei“, erklärt Schorle. Anders die Nager, bei denen zusätzlich der AP2-Gamma-Spiegel noch permanent erhöht war: Bei ihnen begann die Tumorentwicklung eine Woche später, und erst nach 40 Wochen waren wirklich alle Tiere erkrankt. Insgesamt entwickelten sie weniger Geschwulste als die reinen Onko-Mäuse – AP2-Gamma scheint also die Tumorbildung zumindest zu verzögern.

Als die Wissenschaftler jedoch das Krebsgewebe genauer unter die Lupe nahmen, stellten sie fest, dass die Tumoren aus den AP2-Onko-Mäusen in der Regel schon in einem erheblich fortgeschrittenerem Stadium waren. Sprich: Hat sich erst einmal eine Geschwulst gebildet, entwickelt sie sich unter Einfluss von AP2-Gamma aggressiver weiter. Professor Schorle: „Das passt auch zu der Beobachtung, dass ein hoher AP2-Gamma-Spiegel die Heilungschancen bei Brustkrebs reduziert.“

Tritt aufs „Zellteilungs-Gaspedal“

AP2-Gamma spielt also bei der Entstehung von Brustkrebs „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“: In gesundem Gewebe beschleunigt es zwar die Zellteilung, gleichzeitig scheint es aber Mechanismen zu stärken, die eine Krebsentstehung verhindern. „So beobachten wir, dass Zellen unter AP2-Einfluss eher in die Apoptose eintreten, also gewissermaßen Selbstmord begehen.“ Ist – wie in vielen Krebszellen – dieses „Selbstmord-Programm“ aber gestört, sorgt AP2 letztlich für einen zusätzlichen Tritt aufs „Zellteilungs-Gaspedal“: Die Entwicklung des Krebses zu aggressiven Stadien beschleunigt sich.

Kontakt:
Professor Dr. Hubert Schorle
Institut für Pathologie der Universität Bonn
Tel.: 0228/287-6342
E-Mail: Hubert.Schorle@ukb.uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

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