Zellbiologische Studien per Computer – Oder: Wie misst man das Entwicklungsniveau eines Lebewesens?

Wachstum und Spezialisierung von embryonalen Zellen verlaufen weitaus einfacher als bisher angenommen. Die Vielfalt und Komplexität der heranreifenden Zelltypen liegen deutlich unter dem per Computer berechneten Maß. Diese Erkenntnisse veröffentlichte eine internationale Forschergruppe aus den USA, Deutschland, England und Belgien kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“*. Die gesamte Software für das Projekt entwickelten Wissenschaftler aus dem Team von Professor Hans-Peter Meinzer im Deutschen Krebsforschungszentrum.


Spätestens seit der Feststellung, dass der Mensch mit rund 25000 Genen ein Erbgut besitzt, das nicht viel größer ist als das des Fadenwurms C. elegans, ist klar, dass nicht die Zahl der Gene das stammesgeschichtliche Entwicklungsniveau eines Lebewesens bestimmen kann. Auch die Zahl der Zelltypen oder der Artenreichtum erlauben keine präzise Aussage. Um die Komplexität eines Lebewesens messbar zu machen, haben Bioinformatiker des Deutschen Krebsforschungszentrums ein mathematisches Modell entwickelt. Es spiegelt das Muster der Zellteilungen wider und berücksichtigt dabei den Differenzierungsgrad der Zellen. Die Wissenschaftler reduzierten in dem Modell die absolute Zahl der Zellteilungsvorgänge auf die Zahl der dabei neu entstehenden Zelltypen. Anschließend fütterten sie den Computer mit diesen Daten und ließen ihn daraus berechnen, wie viele Zelltypen über eine bestimmte Anzahl von Generationen hinweg per Zufall entstehen könnten. Die Komplexität einer Zelllinie leiteten die Forscher aus der Zahl der neuen Zelltypen im Verhältnis zur absoluten Zahl der Zellteilungen ab. Je größer der Quotient ist, umso höher ist die Entwicklungsstufe des jeweiligen Organismus.

Das mathematische Modell ermöglichte den Forschern, das Entwicklungsniveau des Fadenwurms C. elegans mit dem von drei weiteren Organismen zu vergleichen. Überraschend war das Ergebnis der Computersimulation im Vergleich zur tatsächlichen Entwicklung der Zelllinien. Es zeigte sich, dass die Natur offenbar einen einfacheren Weg geht, als dies durch den Algorithmus vorhergesagt wurde. Durch weitere Berechnungen kamen die Wissenschaftler jedoch zu dem Schluss, dass der Entwicklungsprozess nicht die simpelste Variante schlechthin ist. Die Forscher nehmen an, dass das relativ niedrige Entwicklungsniveau der Zelllinien in der Natur darauf beruht, dass es einen Selektionsvorteil in der Evolution bietet: Die einfachere Variante hat eine verkürzte Entwicklungszeit und kommt mit weniger genetischem Material aus.

*Ricardo B. R. Azevedo et al.: „The simplicity of metazoan cell lineages“, Nature, Vol. 433, 13 January 2005, 152-156.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat die Aufgabe, die Mechanismen der Krebsentstehung systematisch zu untersuchen und Krebsrisikofaktoren zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung sollen zu neuen Ansätzen in Vorbeugung, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen führen. Das Zentrum wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) e.V.

Stabsabteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
D-69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2854
F: +49 6221 42 2968

Media Contact

Dr. Julia Rautenstrauch idw

Weitere Informationen:

http://www.dkfz.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Ideen für die Zukunft

TU Berlin präsentiert sich vom 22. bis 26. April 2024 mit neun Projekten auf der Hannover Messe 2024. Die HANNOVER MESSE gilt als die Weltleitmesse der Industrie. Ihr diesjähriger Schwerpunkt…

Peptide auf interstellarem Eis

Dass einfache Peptide auf kosmischen Staubkörnern entstehen können, wurde vom Forschungsteam um Dr. Serge Krasnokutski vom Astrophysikalischen Labor des Max-Planck-Instituts für Astronomie an der Universität Jena bereits gezeigt. Bisher ging…

Wasserstoff-Produktion in der heimischen Garage

Forschungsteam der Frankfurt UAS entwickelt Prototyp für Privathaushalte: Förderzusage vom Land Hessen für 2. Projektphase. Wasserstoff als Energieträger der Zukunft ist nicht frei verfügbar, sondern muss aufwendig hergestellt werden. Das…

Partner & Förderer