Zielsicher aufgespürt: Gene für die Zellteilung

Die Abbildung zeigt eine normal geformte Zellteilungsspindel beim Vorgang der Zellteilung (WT) und den Defekt der Zellteilungsspindel, wenn zwei messenger-RNAs (m-RNAs) mit short interfering RNA-Molekülen gezielt ausgeschaltet (DHX8 and DDX48) werden. <br>Bild: Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Max-Planck-Wissenschaftler identifizieren Zellteilungs-Gene in menschlichen Zellen mit einem neuartigen „esiRNA-Screen“

Als Gregor Johann Mendel Mitte des 19. Jahrhunderts in seinem Klostergarten mit Erbsen und Bohnen experimentierte, hatte er noch keine Ahnung von der Komplexität, die die von ihm begründete Wissenschaftsdisziplin eines Tages haben würde. Heute ist das menschliche Genom sequenziert und Mendels Nachfolger stehen vor der großen Aufgabe, die Funktionen von rund 30.000 Genen zu entschlüsseln. Dabei hilft ihnen unter anderem die so genannte RNA-interference-Methode (RNAi-Methode), ein raffiniertes Werkzeug, um Genfunktionen in Genom-weiten Screens herauszufinden. Sie ermöglicht das gezielte Ausschalten von Genen und damit einen entscheidenden Schritt zum Erkennen ihrer Aufgaben. Forscher am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden haben diese Methode – die bisher vor allem bei Wirbellosen gute Ergebnisse erzielte – weiterentwickelt, um den Genen der Zellteilung in Säugerzellen auf die Spur zu kommen. In mehreren aufeinanderfolgenden Screens ist es ihnen gelungen, 37 Gene herauszufischen, die für die Zellteilung eine Rolle spielen. Sieben davon waren bisher nicht charakterisiert. Ihre esiRNA-Methode erweist sich damit als brauchbares Werkzeug beim Genom-weiten Aufspüren von Genfunktionen in Säugerzellen (Nature, 23. Dezember 2004).

Um herauszufinden, an welchen zellulären Prozessen ein bestimmtes Gen beteiligt ist, wird genau dieses Gen ausgeschaltet – gleichsam zum Schweigen gebracht – und dann der Effekt beobachtet. Dabei hilft die RNA- interference (RNAi)-Methode, die seit Jahren vor allem bei Wirbellosen ein geeignetes Werkzeug ist, um die Funktion von bestimmten Genen zu identifizieren. Die Methode nutzt einen in jeder Zelle ablaufenden Mechanismus – der ein Genregulationssystem und gleichzeitig einen Abwehrmechanismus darstellt: Die Zelle reagiert auf doppelsträngige Ribonukleinsäure-Moleküle mit der sofortigen Zerstörung des komplementären m-RNA-Abschnitts; ein Strang des RNA-Moleküls lagert sich an die passende aktive m-RNA an und löst damit deren Abbau aus. Das Protein, für das die Nukleinsäure kodiert, kann nicht entstehen. Zielgenau kann also mit diesen RNA-Molekülen ein Gen ausgeschaltet werden.

Bei Wirbeltieren müssen für diesen Vorgang kleinere doppelsträngige RNA-Abschnitte produziert werden, so genannte short interfering RNAs (siRNAs) von etwa 21 bis 30 Nukleotiden Länge. Größere RNA-Abschnitte führen meist zu unspezifischen Reaktionen. Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut in Dresden haben deshalb aus 15.497 menschlichen Genen mit Hilfe eines Enzyms, der Endoribonuklease RNAseIII, entsprechend kleine RNA-Stücke (esiRNA) produziert und sie zu einer Bibliothek zusammengestellt. Dieser riesigen Sammlung entnahmen sie 5.305 esiRNAs und suchten in HeLa-Zellen, einer speziellen Linie von Krebszellen, nach denjenigen Genen, die die Zellteilung steuern oder beeinflussen.

In einem ersten, robotergesteuerten Hochdurchsatz-Screen wurden 275 Kandidaten ausgewählt, die mit der Lebensfähigkeit der Zellen und so mit dem Prozess der Zellteilung in Verbindung zu bringen waren. In einem zweiten Durchlauf wurden diese Gene dann erneut und diesmal mit Hilfe der Videomikroskopie im Detail „durchgesiebt“ – anhand des entstehenden Erscheinungsbildes der Zellen konnten die Forscher feststellen, ob sich ein ausgeschaltetes Gen auf das Funktionieren der Zellteilung ausgewirkt hat oder nicht. Übrig blieben und identifiziert wurden nach diesem zweiten Durchlauf 37 Gene, über die man nun sagen kann: Sie sind mit verantwortlich dafür, dass sich eine Zelle teilt.

Die Funktion dieser 37 Gene wurde aber zunächst in der Forschungsliteratur und in einer Gen-Datenbank überprüft. Tatsächlich war für sieben dieser Gene noch gar keine Funktion bekannt. Mit der neuartigen Variante der esiRNA-Technologie konnten die Dresdner Forscher also sieben bisher uncharakterisierten Genen eine Funktion zuweisen – die Funktion „Zellteilung“. Unter den 37 selektierten Genen waren unter anderem Splicing-Faktoren, deren Knockout zu Defekten der Zellteilungsspindel führten. Interessant auch die Entdeckung eines Gens, das den Transport aus dem Zellkern zu beenden scheint und dessen gezieltes Ausschalten die Zellvermehrung ankurbelte. All diese Ergebnisse sind auch für die Krebsforschung von Bedeutung, beruht doch diese Krankheit darauf, dass der Prozess der Zellteilung außer Kontrolle gerät. Zudem haben die Wissenschaftler mit ihrer Versuchsreihe bewiesen, dass ihre esiRNA-Methode ein brauchbares Werkzeug für Genom-weite Screens in Säugetier-Zellen darstellt: Sie ist effizient, schaltet zuverlässig und sehr zielsicher die gewünschten Gene aus und kann leicht verschiedenen Versuchsanordnungen angepasst werden.

Originalveröffentlichung:

Ralf Kittler, Gabriele Putz, Laurence Pelletier, Ina Poser, Anne-Kristin Heninger, David Drechsel, Steffi Fischer, Irena Konstantinova, Bianca Habermann, Hannes Grabner, Marie L. Yaspo, Heinz Himmelbauer, Bernd Korn, Karla Neugebauer, Maria T. Pisabarro and Frank Buchholz, „An endoribonuclease-prepared siRNA screen in human cells identifies genes essential for cell division“. Nature 432, 1036-1040, 23. Dezember 2004

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Frank Buchholz
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
Tel.: +49 351 210-2888
Fax: +49 351 210-1289
E-Mail: buchholz@mpi-cbg.de

Karla Neugebauer
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
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Fax: +49 351 210-1209
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