Mit deutscher Technologie zur Kommunikation zwischen Mensch und Vogel

Auswilderung des bedrohten Schreikranichs in USA beginnt
Jungvögel lernen Zugrouten mit Ultraleichtflugzeug

Am 20. Juni 2001 wurde es amtlich: Die US-Regierung und insgesamt 22 Bundesstaaten haben die Genehmigung erteilt, in Gefangenschaft aufgezogene Schreikraniche im Norden der USA, in Wisconsin, auszuwildern. Sie werden trainiert, hinter einem Ultraleichtflugzeug herzufliegen und dabei die Zugroute nach Florida zu lernen.

Nach jahrelangen Vorbereitungen wird dieses einmalige Experiment u.a. ermöglicht durch eine neuartige Technologie, die ein Deutscher entwickelte: verschiedenartige Lautäußerungen – aufgenommen von den letzten 174 wilden Schreikranichen – wurden auf Speicherchips gebrannt, und mittels einer speziellen Steuerung können die Pfleger und Piloten unterschiedliche Kranichlaute zur Kommunikation mit ihren Schützlingen einsetzen und ihnen dadurch zumindest einige natürliche Kranichlaute für ihre spätere eigene Kommunikation beibringen.

Entwickelt hat das Ganze Dr. Bernhard Weßling, im Hauptberuf Chemiker und Unternehmer aus Bargteheide bei Hamburg; er erforscht in seiner Freizeit Kraniche in aller Welt und arbeitet in zahlreichen nationalen und internationalen Kranichschutzprojekten mit. Als einziger Nicht-Amerikaner ist er aktives Mitglied des „Whooping Crane Recovery Team“, das die Schutzbemühungen um den Schreikranich und die Auswilderung von nunmehr 2 künstlichen Populationen durchführt.

„Die vokale Kommunikation mit den Schreikranichjungen mit echten Kranichlauten bei der Aufzucht und beim Flugtraining ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Auswilderung,“ erklärt Weßling, „weil die Vögel in Gefangenschaft nicht von erfahrenen Schreikranich-Eltern aufgezogen werden können, sondern von Menschen, aber in Isolation. Menschen treten ihnen nur verkleidet gegenüber, damit sie später verwildern und nicht die Nähe der Menschen suchen. Die Küken würden optisch entweder auf die Verkleidungen oder auf Gegenstände geprägt, wenn wir sie nicht akustisch prägen würden.“

Und genau das war das überraschende Ergebnis der großen Generalprobe im letzten Jahr, die man mit Kanadakranichen durchführte: die Vögel waren auf die vokale Kommunikation sehr viel stärker geprägt als auf Personen oder Gegenstände – sie folgten den Lockrufen, woher immer sie kamen und lernten eine differenziertere Kommunikation kennen. Im Unterschied zu früheren Versuchen folgten alle Küken, nachdem sie flügge waren, sofort und geschlossen dem Flugzeug. Es gab keine Ausfälle und alle (bis auf einen kranken) Kranich sind im Frühjahr wohlbehalten allein oder in Gesellschaft mit wilden Kranichen an den Ort der Auswilderung zurückgekehrt. (vgl. „News“ – Ostern, August und November 2000)

Diese sehr guten Ergebnisse waren die Grundlage dafür, daß nach einem aufwendigen Antragsprozeß die verschiedenen Behörden ihre Zustimmung zu der eigentlichen Auswilderung von Schreikranichen gaben, ein Vorgang, der wegen des „Endangered Species Act“ erforderlich ist, das die Auswilderung besonders gefährdeter Arten in Gebieten, in denen sie ausgestorben sind, nur nach intensiven biologischen und ökologischen Studien und nach breiter politischer Beratung erlaubt. Hierbei muß auch der Auswilderungsvorgang mit seinen Erfolgschancen beurteilt werden, was nach den Vorversuchen sehr gut ausfiel.

Die neue Auswilderungsmethode – die alles andere als biederes Aussetzen von Vögeln in freier Wildbahn ist, sondern statt dessen ein hochmodernes, komplexes und straff gemanagtes Projekt – ist somit nunmehr anerkannt.

Dr. Weßling hielt sich in der Woche vor Pfingsten in den USA auf, wo die Schreikranichküken erbrütet wurden. Er begleitete die ersten Trainingseinheiten der damals zwischen 5 und 20 Tage alten Küken, die erstmalig am Boden mit dem Flugzeug in Kontakt kamen und nach und nach die Vielfalt der verschiedenen Schreikranichlaute und ihre Bedeutung erlernen. „Obwohl wir mit 6 verschiedenen Lauten vergleichsweise differenziert ‚sprechen‘, ist es sicherlich im Vergleich zur natürlichen Kranichkommunikation noch ein Gestammel,“ gibt er unumwunden zu. „Aber es ist ein bisher weltweit einmaliger Fortschritt, mit Lauten aus der Natur mit auszuwildernden Vögeln zu kommunizieren und sie dadurch für ihr Leben in Freiheit fitter zu machen, als wenn sie stumm oder mit künstlichen Lauten gelockt würden.“

Die Kranichjungen werden Anfang Juli nach Wisconsin (Necedah) gebracht, wo sie im August flügge werden. Die Migration beginnt voraussichtlich Ende Oktober und wird ca. 10 Wochen dauern.

Hintergrund:

Die Schreikraniche bilden eine von 15 Kranicharten auf der Erde und kommen nur in Nordamerika vor. Sie sind reinweiß mit schwarzen Flügelspitzen und größer als unsere europäischen Kraniche, die Graukraniche. Sie stellen mit derzeit nur 174 Individuen in der einzigen und letzten sich noch natürlich fortpflanzenden Population die bedrohteste Kranichart der Welt dar und sind die zweitbedrohteste Vogelart Nordamerikas (nach dem Kondor).

In den 1940er Jahren war die Population auf unter 20 Exemplare geschrumpft. Das Verbot ihrer Jagd und extrem strenge Schutzmaßnahmen ermöglichten einen Wiederanstieg auf zwischenzeitlich fast 190 Exemplare, bevor im letzten Jahr aber ein Rückgang zu verzeichnen war. Seit fast 30 Jahren werden Schreikraniche in Gefangenschaft nachgezüchtet, basierend auf einer Population, die künstlich aus wilden Gelegen entnommenen Eiern aufgebaut wurde.

Diese ist mit fast 200 Individuen die Basis für die Auswilderung. Seit 5 Jahren wird in Florida eine nicht ziehende Population aufgebaut, die nunmehr 86 Vögel umfaßt. Zwar wurden im letzten Jahr erstmalig einige Junge erbrütet, jedoch wurde keines davon flügge. In Wisconsin soll somit eine dritte Population angesiedelt werden in der Hoffnung, daß diese nach einigen Jahren künstlich geführter Züge ins Winterquartier nach Florida eine eigene Zugtradition entwickelt.

Ziel der Schutzmaßnahmen sowie der Nachzucht und der Auswilderung sind drei sich selbst erhaltende Populationen mit insgesamt mindestens 1000 Individuen, was als Abschluß des Projektes angesehen würde.

Das Gesamtprojekt läuft unter einem bilateralen Vertrag zwischen Kanada (auf dessen Territorium im „Wood Buffalo National Park“ die letzten wilden Brutgebiete liegen) und den USA (in Texas überwintern diese Schreikraniche am Golf von Mexiko). Es wird vom US Fish & Wildlife Service geleitet. Das „Whooping Crane Recovery Team“ sowie die „Whooping Crane Eastern Partnership“ (letztere koordiniert speziell die Auswilderung in Wisconsin und den Zug nach Florida) bilden den organisatorischen Rahmen, in dem zahlreiche staatliche sowie zwei private Organisationen (International Crane Foundation sowie Operation Migration) an der Rettung des Schreikranichs arbeiten.

Dr. Weßling ist nicht nur der einzige Nicht-Nordamerikaner in diesem Kreis, sondern auch die einzige nicht von einer Organisation entsendete Person. Er führt das Monitoring der wilden Population auf der Basis der von ihm entwickelten Computer-Stimmanalyse durch und liefert Hard- und Software für die vokale Kommunikation beim Auswilderungsprojekt.

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Dr. Bernhard Weßling ots

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