Gene in der Falle

Welche Funktionen erfüllen unsere Gene? Auch nach der Sequenzierung des menschlichen Erbguts ist diese Frage für mehr als 80 Prozent der 30000 menschlichen Gene offen. Hier muss die Forschung jetzt ansetzen: wenn wir wissen, welche Aufgaben unsere Gene erfüllen, kann auch kranken Menschen besser geholfen werden, die unter Gendefekten leiden.

Zur Entschlüsselung der Genfunktionen wenden Wissenschaftler einen Trick an: sie schalten Gene der Maus durch Mutationen aus und untersuchen dann, wie sich dies auf Entwicklung und Gesundheit auswirkt. Um die Genfunktionen umfassend aufzuklären, soll dabei möglichst jedes Gen mutiert werden.

Die derzeit leistungsfähigste Methode, Gene in großem Maßstab außer Gefecht zu setzen, ist die Genfallentechnologie (Gene Trap Technology), bei deren Weiterentwicklung das GSF-Institut für Entwicklungsgenetik unter der Leitung von Professor Wolfgang Wurst, der auch Koordinator des Deutschen Genfallenkonsortiums ist (German Gene Trap Consortium, GGTC), eine führende Rolle einnimmt. In der renommierten Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlichte Wurst nun gemeinsam mit ebenfalls an der Genfalle arbeitenden Wissenschaftskollegen einen Überblick über bisherige Ergebnisse und Zukunftsperspektiven der Technologie.

Die Forscher mutieren Gene der Maus, indem sie fremde DNA-Sequenzen (so genannte Genfallenvektoren) in embryonale Stammzellen von Mäusen einschleusen. Der Vektor integriert sich dabei in ein Gen der Maus, wodurch dieses ausgeschaltet wird. Das im Vektor enthaltene Reportergen wird von den Steuerungselementen des mutierten Gens abgelesen und als Reporterprotein exprimiert, das durch einen Farbtest nachgewiesen werden kann. Hierdurch ’meldet’ das mutierte Gen, dass es dem Vektor in die Falle gegangen ist. Anschließend ermitteln die Wissenschaftler durch Sequenzierung, um welches Gen es sich handelt.

Wurde ein für eine menschliche Krankheit wichtiges Gen erwischt, werden aus den embryonalen Mausstammzellen Mäuse gezüchtet. Diese Mäuse tragen das veränderte Gen in allen Zellen ihres Körpers und sind wertvolle Modelle für die entsprechende Krankheit. Ihre Entwicklung und ihr Verhalten werden genauestens untersucht, um die Rolle des veränderten Gens bei der Entstehung und dem Verlauf dieser Krankheit verstehen zu können. „Darmkrebs, Nierenerkrankungen, Diabetes, Fertilitätsstörungen und die Parkinson-Krankheit sind einige der Krankheiten, für die das Deutsche Genfallenkonsortium bereits Mausmodelle generieren konnte“, berichtet Wurst.

Welches Gen den Wissenschaftlern in die Falle geht, bleibt weitgehend dem Zufall überlassen. Allerdings gibt es unterschiedliche Genfallenvektoren mit spezifischen Vorlieben hinsichtlich des Ortes ihrer Integration. Um möglichst effektiv Gene mutieren zu können, verwendet das Deutsche Genfallenkonsortium daher mehrere unterschiedliche Vektoren, die sich bei der Jagd nach den Genen ergänzen. “ Diese Strategie hat sich als sehr effizient erwiesen: Durch den Einsatz vierer verschiedener Vektoren erzielten wir im Rahmen des Deutschen Genfallenkonsortiums etwa 20.000 Vektorintegrationen in embryonaler Mausstammzell-DNA und mutierten hierdurch über 5.000 Gene. . Dies ist die zur Zeit weltweit größte öffentlich zugängliche Sammlung von Genfallenmutationen“, erzählt Wurst stolz.

Um möglichst viele Gene zu erreichen, wird die Genfallentechnologie immer weiter entwickelt und verfeinert. Früher konnten nur solche Gene in die Falle gelockt werden, die eingeschaltet sind und für Proteine kodieren. Inzwischen werden durch das Deutsche Genfallenkonsortium neue Genfallenvektoren konstruiert, mithilfe derer auch ruhende oder regulatorische Gene mutiert werden können. Darüber hinaus hat das GGTC eine neue Klasse sogenannter konditionaler Genfallenvektoren entwickelt, die ermöglicht, Gene nur zu bestimmten Zeitpunkten und in bestimmten Organen der Maus zu mutieren – bislang liegen die Mutationen ja schon während der Embryonalentwicklung im gesamten Körper der Maus vor. Die neue, schaltbare Mutationsstrategie mit konditionalen Vektoren ist wichtig, weil sie viele menschliche Erkrankungen genauer nachahmen kann – wie z.B. eine Form der Parkinson-Erkrankung, die erst im Erwachsenenalter auftritt und natürlich nur das Gehirn betrifft.

Basierend auf den herausragenden Ergebnissen des Deutschen Genfallenkonsortiums werden nun internationale Anstrengungen unternommen, um in den nächsten Jahren möglichst alle Gene des Mausgenoms zu inaktivieren. Es wird zum einen eine amerikanische Initiative geben, für die insbesondere das NIH (National Institutes of Health) Fördermittel zur Verfügung stellt. Zum anderen wird in Europa mit EUCOMM (European Conditional Mouse Mutagenesis Programme) ein Programm beantragt, das die bisherigen nationalen Anstrengungen in Europa zusammenfassen und ausbauen soll. „EUCOMM ist die europäische Initiative zur globalen Saturationsmutagenese des Mausgenoms. Wir planen, dieses ehrgeizige Ziel zusammen mit den Amerikanern innerhalb der nächsten 3-5 Jahre zu erreichen“ sagt Wurst.

Die Genfallentechnologie bietet somit eine einmalige Chance, durch einen umfassenden und präzisen Ansatz die Funktion der Mehrzahl der Gene im Gesamtorganismus verstehen und so neue Therapien für menschliche Krankheiten entwickeln zu können.

Media Contact

Gertrud Aßmann idw

Weitere Informationen:

http://www.gsf.de

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