Erfolge bei der Acrylamid-Minimierung in Lebensmitteln

Die Lebensmittelchemische Gesellschaft, die größte Fachgruppe in der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), weist anlässlich des Deutschen Lebensmittelchemikertags am 13. September in Bonn auf die vorbildliche Zusammenarbeit aller beteiligten Kreise bei der Minimierung der Acrylamidgehalte in Lebensmitteln im Rahmen des vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes hin. Hervorgehoben und anerkannt werden insbesondere die erfolgreichen Aktivitäten und Maßnahmen der Lebensmittelhersteller, die der Verantwortung für Qualität und Sicherheit ihrer Produkte in der Regel in vollstem Umfang nachkommen. Von der toxikologischen und lebensmittelchemischen Forschung werden für die nächste Zeit wichtige Ergebnisse hinsichtlich des gesundheitlichen Risikos des Verbrauchers durch Acrylamid in der Nahrung erwartet. Der jetzige Kenntnisstand deutet auf ein deutlich geringeres Gefährdungspotential hin, als ursprünglich befürchtet.

Zweieinhalb Jahre ist es her, dass Acrylamid in erhitzten pflanzlichen Lebensmitteln entdeckt wurde und für nachhaltige Schlagzeilen und Verunsicherung sorgte. Acrylamid entsteht, abhängig von Erhitzungsbedingungen, aus Vorläuferverbindungen (insbesondere aus dem natürlicherweise vorkommenden Inhaltsstoff Asparagin) vor allem in frittierten, gebratenen und gebackenen kartoffel- bzw. getreidehaltigen Lebensmitteln – sowohl im Haushalt, in der Gastronomie oder in der Lebensmittelindustrie. Es ist nach wie vor wissenschaftlich ungeklärt, ob Acrylamid, wenn es über die Nahrung aufgenommen wird, beim Menschen Krebs erzeugen kann. Dennoch, wurden im Sinne des vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes Maßnahmen ergriffen, um diesen Stoff in Lebensmitteln weitmöglichst zu minimieren.

Ziehen an einem Strang

Die deutsche Lebensmittelwirtschaft und Lebensmittelüberwachung unterstützten von Anfang an das neuentwickelte sogenannte „dynamische Minimierungskonzept“ der Bundesregierung, mit dem Anreize geschaffen werden sollen, Schritt für Schritt die Acrylamidgehalte einzelner Produktgruppen zu reduzieren. Durch die umgehende Umsetzung wissenschaftlich-empirisch gewonnener Erkenntnisse bei der Änderung von Rezepturen und Technologien konnten eindrucksvolle Erfolge erzielt werden, wobei diese von der jeweiligen Produktgruppe abhängig sind. Eine ständig fortschreitende Minimierung bis herab auf „Null“ ist jedoch sicher nicht möglich, es sei denn, man würde Erhitzungstechniken wie Braten, Frittieren, Backen und Rösten bei Lebensmitteln mit signifikanten Gehalten an Asparagin verbieten. Asparagin aber ist eine weit verbreitete Aminosäure der Natur, die gerade in Kartoffeln und Kartoffelerzeugnissen sowie in Getreide und Getreideerzeugnissen vorkommt.

Forschung als Schlüssel der Zukunft

Weltweit, insbesondere in Nordeuropa (Deutschland, Schweiz, Großbritannien und Skandinavien), in den USA und in Kanada laufen Forschungsaktivitäten zu Acrylamid in verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen Ansätzen auf Hochtouren. Eine Vielzahl von Kongressen, Symposien und Workshops dient dazu, das neu entstandene und neu entstehende Wissen zu verbreiten, zu evaluieren und aufzuarbeiten.

Die neuen toxikologischen Untersuchungen hinsichtlich der Wirksamkeit von mit der Nahrung aufgenommenem Acrylamid beim Menschen sind zwar noch nicht abgeschlossen, aber der jetzige Erkenntnisstand deutet darauf hin, dass das Gefährdungspotential deutlich geringer ist als ursprünglich befürchtet. Weitere Untersuchungen zur Toxikologie der Stoffwechselprodukte von Acrylamid (insbesondere Glycidamid) müssen für eine umfassende Sicherheitsbewertung noch abgewartet werden. Es deutet sich zum jetzigen Zeitpunkt an, dass es für Acrylamid bezüglich seiner genotoxischen Wirkung als Grundlage für Kanzerogenität beim Menschen einen Expositionswert (Schwellenwert) geben könnte, unterhalb dessen keine Schädigung zu erwarten ist.

Die chemische Bildungswege von Acrylamid in Lebensmitteln sind hingegen aufgeklärt. Hauptweg: Reaktion der Aminosäure Asparagin mit reduzierenden Zuckern (wie Glucose, Fructose) unter Hitzeeinwirkung im Rahmen der sog. Maillard-Reaktion. Nebenwege: Reaktion anderer Aminosäuren mit Zuckern (im Rahmen der Maillard-Reaktion); thermischer Abbau bestimmter Aminosäuren; thermischer Abbau von Triglyceriden über Acrolein und Acrylsäure und nachfolgende Reaktion mit Ammoniak. Neu entdeckter Weg: Enzymatische Vorstufenbildung über die Decarboxylierung von Asparagin zu 3-APA (3-Amino-propionamid; in Kartoffeln nachgewiesen, jedoch kommt 3-APA in Kartoffeln in wesentlich geringerer Konzentration als Asparagin vor) und weiter über den thermischen Abbau zu Acrylamid, d.h. ohne Beteiligung der Maillard-Reaktion.

Eine Reihe analytischer Methoden zum Nachweis von Acrylamid in Lebensmitteln ist zwischenzeitlich ausgereift: Etabliert hat sich in den Prüflaboratorien die Flüssigchromatographie mit Tandemmassenspekrometrie (LC-MS/MS). Ziel laufender Forschungsarbeiten ist es, Schnellmethoden zu entwickeln, um gleich bei der Lebensmittelherstellung zügiger und günstiger Messungen – und gegebenenfalls Prozesssteuerungen – durchführen zu können. Die generell zu beobachtenden, nicht unerheblichen statistischen Streubreiten der Ergebnisse haben sich bestätigt, d.h. sie werden unabdingbar hervorgerufen einerseits durch analytisch bedingte Messunsicherheiten und andererseits durch schon geringe Schwankungen der Rohstoffzusammensetzung bzw. bei den Prozessparametern. Diese Besonderheit erschwert die Ableitung von Grenzwerten.

Lebensmittelsicherheit – Quo vadis?

Die Entdeckung der endogenen Bildung von Acrylamid in Lebensmitteln lässt grundlegend neue Fragen der Lebensmittelsicherheit in das Blickfeld des Interesses rücken. Es ist schon seit langem bekannt, dass beim Erhitzen (auch unter 100 °C; also auch beim Kochen) von Lebensmitteln eine Vielzahl verschiedener Umwandlungsprodukte entsteht. Viele davon sind für Geruch und Geschmack wichtig. Während einige noch gar nicht identifiziert sind, stellt sich bei charakterisierten Stoffen – ähnlich wie beim Acrylamid – auch die Frage nach der wirklichen toxikologischen Relevanz der jeweiligen Konzentration im Lebensmittel sowie deren Bioverfügbarkeit und Aufnahmemenge. Allein der Nachweis einer Substanz, der mit den heutigen modernen analytischen Messmethoden bekanntlich weit in den ppb- oder ppt-Bereich (parts per billion, parts per trillion) herab betrieben werden kann, reicht nicht aus. Zudem bleibt zu bedenken, dass Erhitzungsmethoden von der Menschheit seit ihrem Bestehen zu ihrem Vorteil angewandt werden. Die Lebensmittelchemische Gesellschaft setzt sich dafür ein, dass ihre Mitglieder derartige Fragestellungen der Lebensmittelsicherheit immer mit Sachverstand angehen und sich an vorschnellen Spekulationen nicht beteiligen. Insbesondere gelte es, so Professor Dr. Reinhard Matissek, Vorstandsmitglied der Lebensmittelchemischen Gesellschaft, die Relationen im Vergleich zu anderen Risiken des Alltags nicht aus den Augen zu verlieren.

Media Contact

Dr. Renate Hoer idw

Weitere Informationen:

http://www.gdch.de

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