Fruchtfliegen im Flugsimulator: Dem Menschen so nah

Der Flugsimulator: In dieser mit Leuchtdioden bestückten Arena absolviert gerade eine Fruchtfliege ihr Training. Sie ist an einem Drehmoment-Messgerät angebracht. Foto: Reinhard Wolf

Das Gehirn des Menschen wird gemeinhin als besonders hoch entwickelt angesehen. Allerdings sind auch wesentlich kleinere Hirne zu ebenbürtigen Leistungen fähig. Bei der nur zwei Millimeter großen Fruchtfliege Drosophila zum Beispiel funktioniert die Wiedererkennung optischer Eindrücke wie beim Menschen. Das berichten Forscher von der Uni Würzburg mit Kollegen aus Peking in der neuen Ausgabe des US-Wissenschaftsblatts „Science“.

Reinhard Wolf und Martin Heisenberg vom Würzburger Biozentrum haben ihre Untersuchungen mit Hilfe eines ausgeklügelten Flugsimulators angestellt. Das Gerät ist computergesteuert und besteht aus einer zylinderförmigen Arena, deren Wand mit 8.820 Leuchtdioden bestückt ist. Damit lässt sich eine künstliche Umwelt aus verschiedenen Mustern und Farben erschaffen.

Inmitten der Arena wird die Fliege mit einem Drahtbügel fixiert und an einem Messgerät befestigt. Dieses erfasst ihre Absicht, sich zu bewegen, als physikalisches Drehmoment und speist die Daten in den Computer ein. Der berechnet in Echtzeit, wie sich die Fliege beim gleichen Manöver im Freiflug gedreht hätte – und verschiebt dann die künstliche Umwelt um genau diesen Betrag um die Fliege herum. Das Insekt bekommt so den visuellen Eindruck, tatsächlich die Richtung geändert zu haben. Die Flugbahn hin zu bestimmten Mustern, die ihm präsentiert werden, kann es selbst bestimmen. Auf diese Weise lässt sich zeigen, dass die Fruchtfliege zum Beispiel ein aufrecht stehendes T von einem umgedrehten T unterscheiden kann – jedoch ohne eines der beiden Muster zu bevorzugen.

Bestraft man die Fliege aber mit einem Hitzestrahl (Infrarot-Laser) immer dann, wenn sie zum Beispiel auf ein umgedrehtes T zufliegt, so lernt sie innerhalb von Sekunden, was sie tun kann, um nicht „gegrillt“ zu werden: Sie fliegt nur noch auf das stehende T zu. Nach nur vier Minuten Training vermeidet sie Flüge in Richtung des umgedrehten T selbst dann, wenn die Hitze nicht mehr eingeschaltet wird. Sie hat also gelernt und kann die Muster wiedererkennen.

Wolf: „Fliegen speichern die gesehene Umwelt nicht wie eine Fotografie im Gedächtnis, sondern ziehen bestimmte Merkmale heraus, anhand derer sie ein Muster später wiedererkennen können. Das erfordert weniger Speicherplatz im Gehirn.“ Insgesamt fünf solche Merkmale haben die Forscher bisher identifiziert: den Schwerpunkt des Musters, die Neigung von Kanten, Größe, vertikale Dichteverteilung und Farbe. Das aufrechte und das umgedrehte T unterscheiden die Tiere nicht anhand der Form, sondern durch die unterschiedliche Höhe des Musterschwerpunktes – nur diese Information wird im Gehirn gespeichert.

Mit dem Flugsimulator zeigten die Forscher außerdem: Die Fliegen sind dazu fähig, ein bestimmtes Muster auch dann wiederzuerkennen, wenn es an einer ganz anderen Stelle im Sehfeld erscheint. „Diese so genannte Positionsinvarianz tritt auch beim Menschen auf“, so Heisenberg. Damit habe sich Drosophila in einem weiteren Bereich als Modell erwiesen, von dem man viel über die entsprechenden Vorgänge beim Menschen lernen kann. Für bestimmte Muskel- oder Nervenkrankheiten sowie auf weiteren Gebieten gelte das schon seit längerem.

Shiming Tang, Reinhard Wolf, Shuping Xu, Martin Heisenberg: „Visual Pattern Recognition in Drosophila Is Invariant for Retinal Position“, Science vom 13. August 2004, Volume 305, Issue 5686, Seiten 1020-1022.

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Robert Emmerich idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-wuerzburg.de

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