Nervenzellen unter sich – die Lösung

Das "Schlaganfall-Info-Mobil" ist von Mai bis August 2001 in 40 deutschen Städten unterwegs. Die medizinischen Untersuchungsgeräte an Bord ermöglichen es dem beratenden Arzt, innerhalb von zehn Minuten das persönliche Schlaganfallrisiko zu ermitteln. Foto: Bayer AG

Nur durch die Zusammenarbeit von Millionen von Nervenzellen, denNeuronen, ist unser Nervensystem zu seinen unglaublichen Leistungen fähig.Wie funktioniert aber die Kommunikation zwischen den Neuronen? Die Stelleder Kontaktaufnahme zwischen zwei Neuronen, die Synapse, steht seitJahrzehnten im Mittelpunkt der weltweiten, neurobiologischen Forschung.Prof. Dr. Reto Weiler, Dr. Konrad Schultz und Dr. Ulrike Janssen-Bienhold,Neurobiologen des Oldenburger Fachbereichs Biologie, entdeckten jetztgemeinsam mit ihren niederländischen Kollegen Dr. Maarten Kamermans, IrisFahrenfort und Dr. Trijntje Sjoerdsma, Netherland Ophthalmic ResearchInstitute, Amsterdam, einen bisher völlig unbekannten Typ dersynaptischen Kommunikation. Ihre richtungsweisenden Forschungsergebnissestellen sie in der heute erscheinenden Ausgabe des WissenschaftsjournalsSCIENCE (Volume 292, 11. Mai 2001) vor.

Bisher war bekannt, dass die synaptische Kommunikation auf zwei grundlegenden Mechanismen beruht: Bei chemischen Synapsen wird als Folge der elektrischen Erregung eines Neurons an dessen Synapse eine chemische Substanz freigesetzt. Diese wiederum bewirkt, dass es in dem über die Synapse verbundenen Neuron ebenfalls zu einer elektrischen Erregung kommt. Bei einer elektrischen Synapse sind zwei Neuronen direkt durch Kanäle verbunden, über die sich die elektrische Erregung von einem auf das andere Neuron fortpflanzen kann.

Die Oldenburger Wissenschaftler haben nun gemeinsam mit der holländischen Arbeitsgruppe einen dritten Typ der synaptischen Kommunikation entdeckt. Dieser enthält Elemente von chemischen und elektrischen Synapsen. Fündig wurden die Wissenschaftler in der Netzhaut des Auges, der Retina, die als Teil des Gehirns alle typischen neuronalen Verschaltungen zeigt. Eine dieser Verschaltungen ist die „Rückwärts-Inhibition“. Dabei bilden zwei Neuronen einen kleinen Regelkreis. Die Erregung des einen Neurons (präsynaptisches Neuron) führt über eine chemische Synapse zur Erregung des synaptisch verbundenen Neurons (postsynaptisches Neuron), und dieses Neuron inhibiert anschließend das präsynaptische Neuron. Solche Rückwärts-Inhibitionen bilden eine wichtige Basis aller bekannten neuronalen Funktionen.
In der äußeren Retina findet sich ein solcher Schaltkreis zwischen den Photorezeptoren und den Horizontalzellen und bildet die Grundlage für das Kontrast- und Farbensehen. Die Photorezeptoren setzen an ihren synaptischen Endigungen entsprechend ihrer Erregung den Neurotransmitter Glutamat frei. Diese Freisetzung wird ermöglicht durch spannungs-abhängige Kalziumkanäle der Photorezeptoren im Synapsenbereich. Glutamat reguliert schließlich die Leitfähigkeiten von Ionenkanälen auf den Horizontalzellen. Dadurch kommt es zur Erregung der Horizontalzellen und als Folge davon zu einer Reduzierung der Freisetzung von Glutamat durch die Photorezeptoren. Durch eine Vielzahl von Studien haben weltweit verschiedene Labors die einzelnen molekularbiologischen Komponenten dieser Rückwärts-Hemmung in den letzten Jahren aufgeklärt. Eine Frage blieb allerdings trotz größter Anstrengungen ungelöst: Was für ein chemisches Signal verwenden die Horizontalzellen, um die Photorezeptoren zu inhibieren?
Die beiden Arbeitsgruppen konnten jetzt zeigen, dass keinerlei chemisches Signal notwendig ist, sondern dass die Kommunikation auf einem völlig neuen neuronalen Mechanismus beruht: Im synaptischen Bereich zwischen den Photorezeptoren und den Horizontalzellen fand sich eine neue Gruppe von Kanälen, die in die Membran der Horizontalzellen eingebaut sind. Diese Kanäle gehören zu der großen Familie von Kanälen, die normalerweise von Neuronen für die Bildung von elektrischen Synapsen verwendet werden. An dieser Stelle bilden sie jedoch sogenannte Hemikanäle. Da das Zellinnere von Neuronen negativ gegenüber dem Extrazellulärbereich geladen ist, fließt durch diese Kanäle ein Strom in die Zelle. Ein Spannungsabfall im lokalen Extrazellulärbereich ist die Folge. Da die Kalziumkanäle der Photorezeptoren im Synapsenbereich die Spannungsdifferenz zwischen dem Extrazellulärbereich und dem Inneren der Photorezeptoren messen, registrieren sie eine Änderung und regulieren entsprechend die Freisetzung von Glutamat. Je nach Erregung der Horizontalzellen fließt durch die Hemikanäle mehr oder weniger Strom, die Spannungsdifferenz ändert sich. Damit regelt die Erregung der postsynaptischen Horizontalzellen direkt die Freisetzung des Neurotransmitters durch die präsynaptischen Photorezeptoren. Diese direkte, elektrische oder ephaptische Inhibition kommt somit ohne einen zusätzlichen Neurotransmitter aus.
Da inhibitorische Schaltkreise die häufigsten Schaltkreise des Gehirns darstellen, gehen die Oldenburger und Niederländer Wissenschaftler davon aus, dass der entdeckte neuronale Mechanismus auch in weiteren Schaltkreisen vorkommt und möglicherweise einen neuen Grundtypus von synaptischer Kommunikation darstellt. Laufende Untersuchungen in anderen Labors, ausgelöst durch diese Entdeckung, scheinen in diese Richtung zu weisen.
Eine Störung der Balance zwischen Erregung und Inhibition ist die Ursache vieler neurologischer Erkrankungen von Schlaflosigkeit bis Epilepsie. Die medikamentöse Behandlung beruht weitgehend auf einem Konzept, das auf Interaktionen von chemischen Synapsen aufbaut. Die Einbeziehung der jetzt entdeckten neuen Mechanismen führt hier möglicherweise zu neuen Therapieansätzen.
Kontakt: Prof. Dr. Reto Weiler, Fachbereich Biologie, Tel.: 0441/798-2581, Fax: 0441/798-3423, E-Mail: reto.weiler@uni-oldenburg.de

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Gerhard Harms idw

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