Bakterielles Erbstück in höheren Organismen entdeckt

Mitochondrien sind Energie erzeugende Bestandteile höherer Zellen – und haben eine bewegte Vergangenheit. Sie sind hervorgegangen aus frei lebenden Bakterien, die von Einzellern vor etwa 1,5 Milliarden Jahren aufgenommen und dauerhaft in die Zellen integriert wurden. Mittlerweile könnten Mitochondrien nicht mehr eigenständig existieren, weil sie den Großteil ihrer ursprünglich vorhandenen Erbinformation DNA verloren haben. Die meisten Mitochondrien-Proteine werden nun von der DNA im Zellkern codiert und im Zellinneren synthetisiert, unter anderem auch die so genannten -barrel-Proteine, die die äußere Mitochondrien-Membran durchspannen und dort eine Vielzahl von Funktionen erfüllen. Einige Komponenten der Mitochondrien erinnern noch an deren Entwicklungsgeschichte. Ein Beispiel ist das Protein Tob55, das jetzt von einem Wissenschaftler-Team um Professor Walter Neupert vom Adolf-Butenandt-Institut für Physiologische Chemie der LMU gefunden wurde, und maßgeblich am Einbau der -barrel-Proteine in die äußere Mitochondrien-Membran beteiligt ist (Nature, Bd. 426, S. 862-866, 2003).

Tob55 findet sich in den Zellen höherer Organismen und weist zudem eine hohe Ähnlichkeit zu einem Membranprotein in bestimmten Gram-negativen Bakterien auf, die als Vorläufer der Mitochondrien gelten. Die Übereinstimmung bezieht sich auf die Struktur und die Funktion des bakteriellen Proteins Omp85, welches als essentiell für den Einbau von -barrel-Proteinen in die bakterielle Außenmembran beschrieben worden ist. Ähnlich wirkt auch Tob55, das als Bestandteil eines Proteinkomplexes mit -barrel-Proteinen assoziiert und diese in die äußere Mitochondrienmembran insertiert.

Diese hohe strukturelle und funktionelle Konservierung zeugt nicht nur von der bakteriellen Vergangenheit der Mitochondrien, sondern zwingt den -barrel-Proteinen auch einen Umweg auf: Sie müssen erst die äußere Mitochondrien-Membran passieren, um anschließend von der Innenseite der Membran in diese mit Hilfe von Tob55 eingebaut zu werden.

Der Umweg der -barrel-Proteine hat mit der im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte gewonnenen Eigenschaft der Mitochondrien als integrierter Zellbestandteil zu tun. Proteine, die Omp85 transportieren, werden im Inneren des Bakteriums synthetisiert und lagern sich deshalb dann an der Innenseite der Membran an. Bei den Mitochondrien in höheren Organismen dagegen nähern sich die im Zellinneren synthetisierten -barrel-Proteine den Mitochondrien von außen an. Das tunnelförmige Tob55 und sein bakterieller Gegenpart Omp85 durchspannen die jeweilige Membran aber in derselben Orientierung – damit liegt das Eintrittsende für die zu transportierenden Proteine innen. Das hat zur Folge, dass die -barrel-Proteine nicht sofort mit Tob55 assoziieren können, weil sie sich von der falschen Seite nähern.

Die Mitochondrien haben im Laufe ihrer Evolution einen Umweg gefunden, der die -barrel-Proteine schließlich zum „richtigen“ Ende von Tob55 bringt, so dass sie letztlich doch in die äußere Mitochondrien-Membran eingebaut werden können. Neben dem TOB-Komplex, dessen zentrale Komponenete Tob55 bildet, gibt es einen weiteren Proteinkomplex in der mitochondrialen Außenmembran, den TOM-Komplex. Dieser erkennt mitochondriale Proteine, die sich der Außenseite der Membran nähern und bringt sie über die Außenmembran der Mitochondrien.

Die Forscher vermuten, dass dieser auch die -barrel-Proteine durch die äußere Mitochondrienmembran bringt, so dass sie dann von deren Innenseite aus – entsprechend ihren bakteriellen Pendants – an Tob55 anlagern können. Dieser Umweg verlangt, dass sich die -barrel-Proteine erst durch die Membran und dann wieder in die entgegen gesetzte Richtung bewegen, um an ihren Zielort zu gelangen. Erst dieser zusätzliche Schritt ermöglicht den Einsatz des über Jahrmillionen hoch konservierten Proteins Tob55, dessen essentielle Rolle im Transport wichtiger Mitochondrienproteine erst jetzt nachgewiesen werden konnte.

Ansprechpartner:

Professor Dr. Walter Neupert
Alfred-Butenandt-Institut für Physiologische Chemie der LMU
Tel.: + 49 89 2180 77095
E-mail: Neupert@bio.med.uni-muenchen.de

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Cornelia Glees-zur Bonsen idw

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